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■ Es gibt für die Grünen keinen Grund, von ihrer grundsätzlichen Ablehnung der Gentechnologie abzurückenKein Persilschein für die Industrie

Die Atomindustrie versprach uns, alle Energieprobleme durch den Angriff auf den Atomkern zu lösen. Wir kennen den Preis, den wir für diese Illusion zu zahlen haben. Heute verspricht uns Manuel Kiper in Allianz mit der Gentechindustrie, alle Probleme von der Krebs- bis zur Fleckenbekämpfung durch den Angriff auf den Zellkern zu lösen. Doch der Zellkern ist noch weniger beherrschbar als der Atomkern. Die Position von Bündnis 90/Die Grünen zur Gentechnologie darf nicht statisch sein. Dies war sie auch nie: Wir haben uns pragmatisch – trotz Ablehnung von Gentech-Nahrungsmittel – stets für eine strikte Kennzeichnung eingesetzt.

Doch gerade in einer Zeit, in der immer mehr Studien die befürchteten Risiken der Gentechnologie bestätigen, fordert Manuel Kiper, daß wir von unserer kritischen Position abrücken und Entwarnung geben sollen. So ist ein in Raps eingeschleustes Gen auf Wildpflanzen übertragbar, und genmanipulierte Bakterien haben ein Bodenökosystem so verändert, daß alle Testpflanzen abstarben. Diese Wirkungen wären von keinem geltenden Gesetz und keiner Prüfinstanz verhindert worden. Jede Freisetzung gentechnisch veränderter Lebewesen ist in puncto Risikoeinschätzung wie ein Wetterbericht für die nächste Woche. Ob die Vorhersage stimmt, zeigt sich erst später. Die Herbizidresistenzstrategie zementiert eine verfehlte Agrarpolitik und macht die Chemiekeule wieder salonfähig. Daher ist es völlig unverständlich, warum wir hierzu den ökologischen Segen erteilen sollen. Uns muß es doch um die Förderung der Alternativen, wie dem ökologischen Landbau, gehen. Mit einer Propagierung der Gentechnologie ist das nicht vereinbar.

Gezielt baut Manuel Kiper einen Popanz auf. Eigentlich müßte er unser Bundestagswahlprogramm kennen, das für die Medizin eine Abwägungsklausel vorsieht. Was will er eigentlich? Politischen Aussagen kommen ungleich mehr Medienaufmerksamkeit zu, wenn sie als Kritik an Positionen der eigenen Partei daherkommen – der Schröder-Effekt macht in Niedersachsen offenbar Schule.

Durch das Arbeiten mit isolierter Erbsubstanz entstehen Gefahren. Gentechnisch hergestellte körpereigene Stoffe rufen Immunreaktionen hervor. Auch der vielgelobte Faktor VIII für Bluter ist problematisch. Die Patienten bauen Hemmstoffe auf und werden unbehandelbar mit Faktor VIII. Eine Tragödie kann bereits durch kleinste Veränderungen verursacht werden. Es ist purer Zynismus, wenn 38 bekannte Todesfälle und über 10.000 Schwergeschädigte (EMS-Syndrom), verursacht durch das gentechnologisch hergestellte L-Tryptophan, verharmlost werden. Hier empfiehlt sich, einen Blick in Manuel Kipers eigenes Buch „Seuchengefahr aus der Retorte“ zu werfen. Um jetzt Glaubensbekenntnisse für die Gentechnologie abzuliefern, biegt er die wissenschaftliche Realität und das eigene Ethos zurecht.

So behauptet er, rekombinantes Wachstumshormon werde gebraucht. Es bringe Milliardenumsätze. Richtig, dieses Hormon, früher nur in geringen Mengen verfügbar, und daher nur bei Kleinwüchsigkeit verordnet, wird jetzt, damit die Umsätze steigen, an Kinder und Jugendliche verabreicht – mit dem Slogan: „Große Menschen sind erfolgreicher“. Die Grenze zwischen Therapie und Mensch nach Maß verschwindet.

Wie paradox: Gerade diejenigen Grünen, die sich für eine Entideologisierung der Gentechnik einsetzen, werden nun zu Apologeten der Wiederkehr des biologischen Fundamentalismus. Auslese und „gentechnische Verbesserung“ ersetzen soziale und ökologische Reformen. Politik wird reduziert auf angewandte Gentechnologie, wenn Krebserkrankungen monokausal auf die genetische Ausstattung reduziert werden. Manuel Kipers Kritik steckt voller Widersprüche. Er ruft nach einer Veränderung, da einzelne Produkte sich am Markt „erfolgreich“ durchgesetzt hätten. Als verlange der Atomstromverbrauch nach einer „Entideologisierung“ der grünen Atomkraftkritik.

Fast alle gentechnisch hergestellten Pharmazeutika sind lediglich Substitute. Motor für diese Entwicklung ist weniger der Wunsch, kranken Menschen zu helfen, als vielmehr die Vergabe von Patenten auf menschliche Gene, die ein neues Vermarktungsmonopol garantieren. Es ist realitätsfremd, von einer Durchdringung des Pharmamarktes durch gentechnisch erzeugte Produkte zu sprechen, wenn diese gerade einmal zwei Prozent des Marktvolumens ausmachen. Das tPA, ein gentechnisch hergestelltes Medikament gegen Blutgerinsel, ist rund zehnmal so teuer und kaum wirksamer als das herkömmliche Medikament Streptokinase. Wo bleibt der beschworene große Erfolg, wenn es in den Vereinigten Staaten allein im Jahr 1994 im Gentechnik-Pharmabereich zu über 1,3 Milliarden US-Dollar Verlusten kam?

Warum sollen wir ausgerechnet wegen eines Waschmittelenzyms die wissenschaftlich fundierte Gentechnikkritik in Frage stellen? Von Gentech-Enzymen in Waschmitteln gehen Gefahren, wie das Auftreten von Allergien, aus. Es ist absurd, dem „Weißer als Weiß“ und „der Entfernung selbst unsichtbarer Flecken“ mittels Enzymen auch noch das Etikett einer nachhaltigen Umweltverträglichkeit aufzudrücken.

Kein einziges (!) Wort verliert Manuel Kiper zur Demokratieverträglichkeit der Gentechnologie. Der Abbau der Öffentlichkeitsbeteiligung wird nachträglich legitimiert. Seine Forderung nach einer Akzeptanz der Gentechnologie und einem Mehr an Sicherheit ist naiv vor dem Hintergrund der derzeitigen Deregulierungsoffensive. Warum werden selbstverständliche Regelungen wie eine umfassende Kennzeichnung, Gefährdungshaftung und die strikte Anwendung des Patentrechtes – keine Patente auf Leben – für die Gentechnologie verweigert?

Die Industrie müßte in einer Umkehr der Beweislast, analog der Umweltverträglichkeitsprüfung, die Risiken ermitteln, den Nachweis des Nutzens und das Fehlen von Alternativen aufzeigen sowie die ethische Verantwortbarkeit darlegen. Mit einem Persilschein wäre sie genau von dieser Beweislast entbunden. Es gibt für die Grünen keinen Grund, von ihrer grundsätzlichen Ablehnung der Gentechnologie, die ausdrücklich eine differenzierte Einzelfallbewertung einschließt, abzurücken. Angesagt ist eine argumentative Auseinandersetzung mit der Gentechnologie, nicht jedoch ein Kniefall vor der Gentechindustrie und ein ökologisches Geisterbahnfahren. Hiltrud Beyer

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