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Bangen vor einem neuen revolutionären 1. Mai

■ Berliner Initiativen und Autonome wollen gleich an vier Plätzen in den Mai tanzen und toben. Innensenator Jörg Schönbohm liegt viel an Krawallvermeidung

Berlin (taz) – Knapp fünf Monate nach seinem Amtsantritt steht der Berliner Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) vor seiner ersten Bewährungsprobe. Den Hauptstädtern steht nach zwei Jahren Abstinenz wieder ein „revolutionärer“ 1. Mai ins Haus – in diesem Jahr gleich an vier Orten: In Kreuzberg will ein von kommunistischen und stalinistischen Gruppierungen dominiertes Bündnis am Oranienplatz demonstrieren, in Mitte und Prenzlauer Berg rufen ein autonomes Bündnis zur Demo (Rosa-Luxemburg- Platz), organisieren Ostinitiativen ein „lebendiges und widerspenstiges“ Straßenfest (Humannplatz) und findet bereits in der Nacht zum 1. Mai die Walpurgisfeier statt (Kollwitzplatz).

Was für die linksradikale Szene der Ausdruck einer tiefgreifenden Spaltung in undogmatische oder kommunistische, in Ost- und Westberliner Szenegruppierungen ist, ist für Innensenator Schönbohm vor allem ein strategisches Problem. Der Berliner Senat fürchtet die negative Wirkung etwaiger Straßenschlachten auf das Brandenburger Wahlvolk, das am 5. Mai über die Länderfusion von Berlin und Brandenburg abstimmen soll.

Zumindest für die Walpurgisnacht am Kollwitzplatz heißt die Devise deshalb „Deeskalation“. Veranstalter und Polizei haben eine Sicherheitspartnerschaft ausgehandelt, die den Einsatz uniformierter Kräfte zunächst nicht vorsieht. Statt dessen will die Polizei mit 90 Zivilbeamten vor Ort sein. Zusammen mit einem eigenen Ordnerdienst will die Initiative „Walpurgis 96“ so Straßenschlachten zwischen Feiernden und der Polizei verhindern. Im vergangenen Jahr hatte die Polizei die Feiernden mit Wasserwerfern und Tränengasgranaten vertrieben und war auf unerwarteten Widerstand seitens der bis dahin als eher friedlich geltenden Prenzelberger Szene gestoßen.

Die „Sicherheitspartnerschaft“ mit Zivilpolizisten stößt allerdings nicht nur auf Gegenliebe. Die PDS spricht bereits von „Polizeifestspielen“; Ostautonome verbreiten auf Flugblättern ihre Interpretation dessen, was da auf den Bezirk zukommen mag: „Ohne Bullen kein Krawall“.

Wenn es bei der Walpurgisnacht oder den Maidemos in Kreuzberg oder Prenzlauer Berg zu Auseinandersetzungen kommen sollte, kann Schönbohm seine Hände freilich nicht in Unschuld waschen. Angetreten als vermeintlich liberaler Nachfolger seines Vorgängers Dieter Heckelmann hat der Exbundeswehrgeneral in den vergangenen Wochen gezeigt, was in ihm steckt. Vier besetzte Häuser ließ Schönbohm räumen. Dabei traf es anders als unter Heckelmanns Regie, der nur Neubesetzungen räumen ließ, auch Häuser, die bereits seit sechs Jahren bewohnt waren. Entsprechend aggressiv ist auch die Stimmung in der autonomen Szene. Kaum ein Tag verging in den letzten Wochen, an dem es nicht irgendwo eine Kleinstrandale gegeben hätte.

Vor Straßenschlachten hat aber auch so mancher Ostautonome Angst. Den Ostlern ist vor allem der 1. Mai 1993 noch in schlechter Erinnerung, als bei einer Randale in Prenzlauer Berg die Scheiben kleiner Läden eingeworfen wurden. Die Forderung der Ost-Autonomen an die Gesinnungsgenossen im Westen lautet deshalb unmißverständlich: „Bleibt drüben!“ Uwe Rada

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