: Perlen für die Säue
■ Während Baudirektor Kossak salbungsvolle Worte für seine „Perlenkette am Hafenrand“ fand, kam „Under Island“ unter den Bagger Von Günter Zint
Der Zahn der Zeit nagt seit Jahren an diversen Häuserzeilen am Hafenrand. Nun hat allerdings ein komplettes Gebiß des Zeitgeistes zugeschnappt. Nachdem sich Greenpeace durch einen dänischen Investor den alten Speicher als Nobelherberge hat herrichten lassen, sind nun auch exklusive Nachbarn dazugekommen. Das Stückwerk am Hafen nennt sich Stilwerk. In Sichtweite zu den bunten Häusern der Hafenstraße kann hier nun die Society aus den Nobelvierteln der Hansestadt ihre Lifestileartikel einkaufen. Ein Rattansofa für schlappe 10.000 Mark, ein schlichter Keramiktrinkbecher für 70 Mark. Eine Stereoanlage für 30.000 Mark darf schon als Schnäppchen bezeichnet werden.
Oberbaudirektor Egbert Kos-saks vielzitierte „Perlenkette“ am Hafen wird Realität. „Jedes Haus ein Juwel“, hat uns der beamtete Schwadroneur versprochen. Wenn man die Mietpreise betrachtet, sind aus den Juwelen sogar Diamanten geworden. Der Speicher am Fischmarkt, gegenüber vom Stilwerk, zahlt nach der Renovierung 1,3 Millionen Mark Jahresmiete (statt vorher 250.000 Mark). Schaut man sich allerdings das Gesamtkonzept an und vergleicht es mit alten Fotos, so ist bisher nur Modeschmuck zu sehen, der bald noch als „Diadem“ einen monströsen Backsteinbüroklotz aus dem Investorenhause Büll&Liedkte dazubekommen wird. Dann sind Parkplätze für die „Perlenketten“-BesucherInnen wichtiger als Grünanlagen und Parks für die AnwohnerInnen.
Nach der Renovierung steht der citymäßig aufgemotzte Speicher nun unter Denkmalschutz. Dieter Lübke darf daher keine Werbung mehr an der Fassade anbringen. Eine Ausnahme dürfen natürlich die Makler für sich beanspruchen, die mit einem riesengroßen Schild noch versuchen, leerstehenden Büroraum zu vermieten.
Während Kossak am vergangenen Donnerstag vor handverlesenem Publikum im Stilwerk seine Eröffnungsrede hielt, machten drei Bagger und ein Schaufellader die Traditionskneipe „Under Island“ samt Nebengebäude in der Nachbarschaft platt. Der Abriß des gesamten Komplexes dauerte kaum länger als die Rede des Visionärs. Der Bau von überflüssigem Büroraum an gleicher Stelle soll weniger als ein Jahr dauern.
So wird Hamburg zur Jahrtausendwende neue Rekorde feiern können: Eine Million Quadratmeter leerstehender Büroraum, über hunderttausend Arbeitslose und Wohnungsnot ohne Ende. Dafür wird dann die Touristenfalle Hamburg bundesweit die meisten Einkaufspassagen für die oberen Zehntausend haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen