: „Ärzte haben Aufklärung versäumt“
■ Im Strahlenskandal der UKE-Frauenklinik rechnet Anwalt Funke mit guten Chancen vor Gericht
Als „blamabel“ bezeichnete Rechtsanwalt Wilhelm Funke das Ergebnis der Expertenkommission der Deutschen Gesellschaft für Strahlentherapie. Er vertritt etwa 100 Patientinnen im Alter von 40 bis über 70 Jahren oder Angehörige von bereits Verstorbenen im Strahlenskandal um die UKE-Frauenklinik gegenüber der Stadt Hamburg. Dem Gutachten zufolge sollten nur Frauen, die an Unterleibskrebs im Spätstadium litten, außergerichtlich entschädigt werden. Doch mittlerweile hat die Stadt auch in einigen anderen Fällen eingelenkt.
taz: Seit 1993 bescheinigte das Bauer-Gutachten der UKE-Frauenklinik eine tadellose Strahlentherapie. Die Behörde baute ihre Klageerwiderung darauf auf. Jetzt wur- de es als falsch entlarvt. Da steigen ja Ihre Chancen vor Gericht.
Wilhelm Funke: Ja, damit fällt die behördliche Verteidigung in sich zusammen. Mir ist klar, wie das Gefälligkeitsgutachten zustandegekommen ist: Professor Bauer war der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft gynäkologische Radiologie, an die sich die Behörde gewandt hatte. Der Vize-Chef dieser Mini-Organisation war Professor Bahnsen der UKE-Frauenklinik.
Hat sich das Warten auf das Expertenergebnis also gelohnt?
Teils, teils. Bei Patientinnen mit Unterleibskrebs im fortgeschrittenen Stadium hat die Wissenschaftsbehörde gleich gesagt, daß sie zahlen wird. Neuerdings hat sie signalisiert, daß sie bei einem Teil der Brustkrebspatientinnen von fehlerhafter Bestrahlung ausgeht und einen Vergleich anstrebt.
Wo hat es sich nicht gelohnt?
Bei Brustkrebspatientinnen, bei denen es um die verletzte Aufklärungspflicht geht. Die Experten haben die Methode des Leiters der gynäkologischen Radiologie, Hans-Joachim Frischbier, verteidigt. Das rührt meiner Meinung nach daher, daß die Fachgesellschaft da mit auf der Anklagebank sitzt. Denn 1986 hat sie Leitlinien verabschiedet mit der Empfehlung, mit niedrigen Einzeldosen an fünf Tagen in der Woche zu bestrahlen, hat es aber versäumt, eine Aufklärungspflicht über ein erhöhtes Risiko festzuschreiben, falls die Methode wie in Hamburg so abgewandelt wird, daß mit höheren Einzeldosen an vier Tagen bestrahlt wird.
Bei Unterleibskrebs im Frühstadium gehen die Experten nicht von Falschbehandlung aus.
Da fragt man sich doch, was sie dazu bewegt hat, zu sagen, die Frischbier-Methode sei korrekt, wenn ihr Präsident, Professor Bamberg, erklärt, daß bei dieser Verfahrensweise die Harnleiter erhöht gefährdet sind, und daß es nach Kennt-nis der Experten seit Mitte der 80er in Deutschland niemanden gab, der mit einer so hohen Einzeldosis bestrahlt hat. Uns liegen auch Gutachten vor, die die Belastung gesunder Organe so hoch einschätzen wie vor zwei Jahren bei der Bestrahlung von Darmkrebspatienten von Professor Hübener. Der wurde damals gleich in die Wüste geschickt.
Wie steht es um die Entschädigung für diese Patientinnen?
Ich bin 100 Prozent sicher, daß ich vor Gericht gewinnen werde. Es geht mir aber darum, den Patientinnen diese langen Prozesse zu ersparen. Am Freitag hat die Behörde auch bei einem ersten Fall einen Behandlungsfehler eingeräumt, der außergerichtlich reguliert werden soll. Sie hat wohl gemerkt, daß das, was über die Frühstadien gesagt wurde, zu blamabel war. An der Tatsache, daß die Patientinnen hätten aufgeklärt werden müssen, kommt man aus juristischer Sicht nicht vorbei. Ich rechne damit, daß die Behörde auf eine außergerichtliche Regulierung eingehen wird.
Zur Brustkrebsbehandlung sagten die Experten, theoretisch bestehe ein erhöhtes Risiko, praktisch aber nicht. Ist der Vorwurf „verletzte Aufklärungspflicht“ hinfällig?
Nein. Ich gehe davon aus, daß es im Juni bereits zu einer Verurteilung der Stadt kommen wird. Nur weil die im UKE eine Vier-Tage-Woche haben wollen, kann man die Patientinnen doch nicht einem erhöhten Risiko aussetzen, und schon gar nicht, ohne sie zu fragen.
Fragen: Patricia Faller
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