"Eingeschätzt werden muß..."

■ Gegen den mutmaßlichen Stasi-Spitzel und Ex-Biermann-Manager, Dieter Dehm, setzt die SPD eine Untersuchungskommission ein. Dehm bestreitet alles

Berlin (taz) – Starke Worte: „Es ist ein Skandal in einem Rechtsstaat“, schreibt der Frankfurter Rechtsanwalt Heinz Düx, „daß der von öffentlichen Beschuldigungen Betroffene bis heute keine umfassende Aktenkenntnis besitzt, während die Presse offensichtlich seit längerem über Akten verfügt.“

Der Betroffene, von Anwalt Düx vertreten, ist Dieter Dehm, ein promovierter Volkswirt, Jungsozialist und Anhänger der staatsmonopolistischen Kapitalismustheorie (Stamokap). Er war in den 70er und frühen 80er Jahren eine der schillerndsten Figuren mit sozialdemokratischem Parteibuch. Er ist erfolgreicher Liedermacher, Betreuer der Eiskunstläuferin Katarina Witt, als Bundesvorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft Selbständige und Unternehmer in der SPD“ sitzt er im Bundesvorstand der Sozialdemokraten und ist ehrenamtliches Mitglied im Stadtrat von Frankfurt am Main.

Seit einer Woche steht Dehm im Verdacht, von 1971 bis 1978 nicht der unwichtigste Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit gewesen zu sein.

Dieter Dehm, das legen kürzlich aufgefundene über 400 Seiten Stasi-Akten nahe, hat Mielkes Männern unter den Decknamen „Dieter“ und „Willy“ über Jusos, Falken und führende Köpfe der südhessischen SPD berichtet. Eine zentrale Rolle soll „Willy“ nach der Ausbürgerung des DDR-Liedermachers Wolfgang Biermann übernommen haben. Dehm, der Biermanns Konzerte im Westen nach dessen Rausschmiß aus dem Arbeiter- und Bauernstaat managte, erarbeitete laut Stasi-Unterlagen „gute, operativ nutzbare Kontakte zu Biermann“. Durch die „hohe Einsatzbereitschaft des IM“ sei es gelungen, „Biermann nach dessen Ausbürgerung im Operationsgebiet zeitweilig gut unter Kontrolle zu bekommen“.

Am späten Donnerstag nachmittag veröffentlichte jetzt Anwalt Düx im Namen seines Mandanten die Erklärung: „Dieter Dehm hat zu keinem Zeitpunkt für die Stasi gearbeitet.“ Alle gegenteiligen Behauptungen seien „falsch und dienen der politischen Diffamierung eines entschiedenen Linken“. Düx moniert den eingangs erwähnten Skandal der fehlenden „Aktenkenntnis“.

Der Vorwurf indes führt, unabhängig von der Frage der Authentizität der Stasi-Unterlagen, in die Irre. Mit der Verabschiedung des Stasi-Unterlagengesetzes wurde ausdrücklich festgeschrieben, daß früheren Inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi der Einblick in die von ihnen verfaßten Berichte verwehrt bleiben soll. Das einmal zu Unrecht aufgehäufte Wissen über die Bespitzelten soll den früheren Spitzeln nicht mehr zugänglich sein.

Dieter Dehms Dementi steht auch die Aussage von Wolf Biermann entgegen. Im Spiegel dieser Woche berichtet der Liedermacher, sein einstiger Manager habe sich ihm gegenüber eineinhalb Jahre vor dem Fall der Mauer offenbart. Dehm habe gebeichtet, „daß er mir seine Dienste als Konzertmangager im Auftrage der Staatssicherheit angetragen hatte“. Biermann hält Dehm deshalb zugute: „Er hat immerhin in einer Zeit, als die DDR noch ewig stand, Mut bewiesen, er hat die peinliche Wahrheit zugegeben.“

Die Personalakte zu IM „Willy“, der Teil der Unterlagen, der auch Dieter Dehm zugänglich ist, endet mit einem Bericht über das Ende der Stasi-Zuträgerschaft. Am 1. Dezember 1980 hält die Stasi schriftlich fest: „Seit Dezember 1978 besteht kein Kontakt mehr zum IM ... Die Gründe für den Abbruch der Verbindung zum MfS durch den IM sind unbekannt. Eingeschätzt werden muß, daß es beim IM ideologische Unklarheiten im Zusammenhang mit den Maßnahmen unserer Partei und Regierung gegen Biermann und Bahro gab.“ Der IM „konnte nicht von der Richtigkeit der Maßnahmen der DDR überzeugt werden.“

Daß Dehm als IM „Willy“ seit 1971 ein Spitzel der Staatssicherheit der DDR gewesen sein soll, glauben heute die undogmatischen Linken, die ihre neue Heimat vor allem bei den Bündnisgrünen gefunden haben, gerne. Dieter Dehm, sagt einer, der ihn seit mehr als zwanzig Jahren für einen „weichgespülten Stalinisten“ hält, habe aus seiner Sympathie für die etwas andere Republik der Bückwaren und Sättigungsbeilagen nie einen Hehl gemacht.

Doch was hätte der IM aus der hessischen SPD der Staatssicherheit der DDR eigentlich erzählen können? „Hauptsächlich Hühnerkacke“, glaubt etwa der Ex-Sponti Reinhard Mohr. Denn Plaudereien mit Agenten aus Ost-Berlin über den Zustand der Linken in Frankfurt, Hessen und in der gesamten BRD in den 70er Jahren seien doch heute als Taten „jenseits von Gut und Böse“ zu werten. Und dafür soll es sogar noch Geld gegeben haben? So geht es zumindest aus den Akten hervor.

Die SPD in Frankfurt hat eine parteiinterne Untersuchungskommission zum „Fall Dehm“ fest installiert. Er selbst hat seinen Sitz im Magistrat vorläufig geräumt – bis zur Klärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Wolfgang Gast

Klaus-Peter Klingelschmitt