: Enten scheuchen, Asche streuen
■ Tennis am Rothenbaum: Arantxa Sanchez-Vicario besiegt Conchita Martinez Von Folke Havekost
Über die Dramaturgie war nicht zu klagen. Gegen Ende des zweiten Satzes, als das Spiel in seine entscheidende Phase trat, flog ein Entenpärchen auf den Centre Court, um in der Hälfte von Arantxa Sanchez-Vicario seine Notdurft zu verrichten. Zur Freude des Publikums betätigte sich Sanchez-Vicario als Entenverscheucherin und ein Ballmädchen durfte die beiden besudelten Stellen mit Asche bestreuen.
Unbeeindruckt davon spielte Sanchez-Vicario hiernach ihr bestes Tennis und drehte ein beim Spielstand von 6:4 und 4:1 für die Titelverteidigerin Conchita Martínez eigentlich bereits verlorenes Match noch um. Nach über zweieinhalb Stunden hatte Sanchez-Vicario mit 4:6, 7:6 und 6:0 den Schläger vorn, was ihr nicht nur 79.000 Dollar, sondern auch Platz zwei der Weltrangliste einbrachte, auf dem zuvor noch Martínez gestanden hatte.
Anderthalb Sätze lang sprach gestern alles dafür, daß sich an der Hierarchie der beiden 24jährigen Katalaninnen nichts ändern sollte. Sanchez-Vicario spielte ein uninspiriertes Krafttennis von der Grundlinie, während Martínez demonstrierte, daß sie die derzeit variabelste Tennisspielerin ist.
Doch entscheidend war letztlich nicht Variabilität, sondern Ausdauer. Die wichtigen Punkte und fast alle engen Spiele sicherte sich Sanchez-Vicario und nicht Martínez, die im Prestigeduell die Nerven verlor. Als sie nicht nur die 4:1-Führung im zweiten Satz, sondern dann auch im Tiebreak einen 4:2-Vorsprung verspielte, war die Entscheidung zugunsten Sanchez-Vicarios praktisch gefallen.
Der Unterhaltungswert der Vogelflug-Einlage und eines zumindest zeitweise hochklassigen Endspiels konnte die Stagnation des Turniers nicht kaschieren. „Die Eisheiligen sind zu früh gekommen“, bedauerte der Stadionsprecher die karge Kulisse. „Die Kälte war furchtbar“, ging auch Sanchez-Vicario nach ihrem Finalsieg auf das einzig Unspanische des Endspiels ein – das Wetter. Windböen und zehn Grad Außentemperatur lockten gestern gerade 3.500 Besucher an den Rothenbaum, wo die Schwarzhändler ihre Karten weit unter Einkaufspreis handelten.
Das Wetter allein ist für das weitgehende Desinteresse an dem im Schatten des heute beginnenden Männerturniers befindlichen Rexona-Cup allerdings nicht verantwortlich. Ein Hauptfeld mit gerade zwei Weltklassespielerinnen, die mühelos das Endspiel erreichten, der 15jährigen Schweizerin Martina Hingis als dem aktuellen „Wunderkind“ der Branche und dazu einigen deutschen „Perspektivspielerinnen“ bot wenig Anreize.
Da half auch die Mopo-Kampagne gegen die alljährliche Abwesenheit des Stadtoberen („Herr Voscherau, was haben Sie gegen diese Damen?“) nichts – selten konnte sich der Bürgermeister der Solidarität von gut anderthalb Millionen abwesenden Mitbürgern so gewiß sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen