: War Raoul Wallenberg ein amerikanischer Spion?
■ US-Nachrichtenmagazin erhebt Vorwürfe gegen schwedischen Kriegsdiplomaten
Stockholm (taz/AFP) – Der schwedische Diplomat Raoul Wallenberg, der im Zweiten Weltkrieg bis zu 100.000 Juden zur Flucht vor den Nazis verhalf, soll ein Informant des amerikanischen Office of Strategic Service (OSS), des Vorgängers des US-Geheimdinstes CIA, gewesen sein. Das berichtet das US-Magazin US-News and World Report unter Hinweis auf jüngst freigegebene OSS-Akten.
Danach soll Wallenberg dem Norwegenamerikaner und OSS- Mitarbeiter Iver Olsen, mit dem er offiziell in einer Flüchtlingshilfsorganisation in Budapest ab 1944 zusammenarbeitete, Informationen über die auf Budapest vorrückenden sowjetischen Truppen beschafft haben.
In die Geschichte des Zweiten Weltkriegs ist Raoul Wallenberg als der Mensch eingegangen, der mit einer außerordentlichen Aktion 100.000 Menschen das Leben gerettet hat: Eine Symbolfigur für persönlichen Einsatz und Menschlichkeit, die in den achtziger Jahren die Ehrenbürgerschaft der USA, Kanadas und Israels erhielt. Von seiner Mission in Ungarn war er nie zurückgekehrt. Nach russischen Angaben war Wallenberg am 17. Januar 1945 bei der Befreiung Budapests durch sowjetische Truppen festgenommen und am 17. Juli 1947 an einem Herzinfarkt im Lubianka-Gefängnis gestorben. Die Leiche wurde jedoch nie gefunden.
Der Bericht zitiert auch Angaben von Zeugen, die Wallenberg Jahrzehnte nach 1947 in einem Gefängnis 180 Kilometer nordöstlich von Moskau lebend gesehen haben wollen. Der ehemalige polnische Häftling Boguslaw Baj sagte der Zeitschrift, er habe Wallenberg 1950 in dem ostsibirischen Gefängnis Bratsk getroffen.
Der Bericht zitiert auch den ehemaligen Botschafter Per Anger. Er will Bundeskanzler Helmut Kohl 1989 gedrängt haben, den damaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow um eine Klärung des Falles Wallenberg zu bitten. Laut Anger habe Kohl Gorbatschow gefragt, warum er den alten Mann nicht gehen lasse. Gorbatschow habe nicht geantwortet.
Die schwedische Regierung dementierte unterdessen die Darstellung des US-Magazins. Die in dem Bericht erhobenen Vorwürfe seien völlig absurd. Nichts belege, daß Raoul Wallenberg ein Spion gewesen sein könnte, erklärte der Staatsminister des schwedischen Außenministers, Jan Eliasson. Das schwedische Außenministerium hat jetzt die eigene Botschaft in Washington damit beauftragt, die Angaben über Wallenbergs angebliche Spionagetätigkeit zu überprüfen. Reinhard Wolff
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