: Zurück zu den Wurzeln in der Hauptstadt
■ Am 10. Mai wird der Neubau der SPD-Zentrale in Berlin eröffnet
Berlin (taz) – Für den alten Sozialdemokraten aus den Wohnblocks gegenüber ist die Sache mit der neuen Parteizentrale in Berlin nicht eindeutig. „Das Haus ist ziemlich schnieke“, findet er. Und die dreijährige Bauzeit, die fingerdick den Staub auf seinen Balkon fegten, waren auch nicht „von Pappe“.
Dennoch ist Ernst Meldner auf das „Willy-Brandt-Haus“ an der Wilhelmstraße Ecke Stresemannstraße im Bezirk Kreuzberg stolz: „Weil die SPD als erste Partei nach Berlin umzieht, vor Kohl und den Grünen.“ Zudem könne man in der rückseitigen Passage, die durch das Haus führt, „ein Bierchen trinken“. Kneipen sind Mangelware in der Ecke am Landwehrkanal.
Wenn am 10. Mai die gebeutelte Partei das „Willy-Brandt-Haus“ mit einer Jubelfeier eröffnet, wird der alte Meldner darauf einen heben – selbst wenn klar ist, daß die „neue Heimat“ wie Fraktionschef Rudolf Scharping den dreieckigen Glaskasten nennt, wenig mit dem Charme der einstigen Bonner „Baracke“ gemein hat.
Aber nicht nur außen ist das 20.000 Quadratmeter große, 100 Meter lange Tortenstück „ziemlich schnieke“. Hinter der hohen Glasspitze folgen zwei schnittige transparente Flügel mit Büros. Auch die rückseitige Ladenpassage glänzt in Edelstahl, Glas und hellem Naturstein.
Schließlich funkeln im Zentrum der Parteizentrale, dem dreieckigen lichten Atrium, Materialien aus Metall, Glas und Marmor. „Das Konzept ist eine ästhetisch klare und konsequente Architektur, die dem einstigen großstädtischen Charakter dieser Gegend entspricht“, erklärt SPD- Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier. Und mehr noch. Das schöne Haus und seine vielseitige Nutzung als Partei-, Büro-, Kultur- und Geschäftshaus diene der „Revitalisierung“ des durch Krieg und Mauerbau ins Abseits gedrängten Viertels.
Dafür hat sich die Partei auch nicht lumpen lassen. Satte 105 Millionen Mark wurden für den Spitzenplatz im Rennen vom Rhein an die Spree investiert – nicht eingerechnet die Willy-Brandt-Plastik von Rainer Fetting, die am Eröffnungstag im Atrium enthüllt werden wird.
Viel Geld floß in das Büro von Parteiboß Oskar Lafontaine im fünften Stock in der Glasspitze. Alle Drähte laufen hier zusammen. Viel Geld wurde in die ökologische Bautechnik, von der Energiefassade bis zur Regenwassertoilette, gesteckt. Und nicht wenig investierte der Architekt Helge Bofinger in die großen Räume: die Glasfoyers, die Bibliothek, das Parteiarchiv und den weiten Kongreßsaal für 500 SPD-Fans.
Der Standort ist aus sozialdemokratischer Perspektive ein Glücksgriff. „Zurück zu den Wurzeln“ bezeichnet Wettig-Danielmeier den Bau des Gebäudes in Kreuzberg. Denn in der nahen Lindenstraße residierten von Anfang des Jahrhunderts bis zum Verbot der SPD durch die Nazis 1933 die Genossen mit Redaktion und Druckerei im „Vorwärts-Haus“.
Auch der städtebauliche Entwurf von Bofinger, noch aus IBA- Zeiten 1981 für ein Bürohaus geplant, knüpft an die baugeschichtlichen Traditionen des Ortes an: Der dreieckige SPD-Block nimmt die Form und spitzwinklige Lage des „Metallerhauses“ in der Lindenstraße aus den 20er Jahren wieder auf.
Doch der frühe Umzug der Willy-Enkel bringt auch Schwierigkeiten mit sich. Weil die Übersiedlung des Parteivorstands samt 260 Mitarbeiter von Bonn nach Berlin bis 1999 „schrittweise“ stattfinden soll, „wollen in die leerstehenden Büros nicht Mieter befristet einziehen“, klagt Ingo Moll, der die Vermarktung organisiert.
Niemand möchte sich in ein, zwei Jahren wieder nach neuen und teuren Büroflächen umsehen. Darum steht die Eckbaracke derzeit noch zur Hälfte leer. Man könnte meinen, frotzeln Berliner Genossen hinter vorgehaltener Hand, selbst wenn die Partei „mal vorne liegt“, hapert es wieder irgendwo. Rolf Lautenschläger
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