: "Krieg bricht nicht aus ... "
■ ... aber Konkurrenz wird härter, sagt SPD-Fraktionschef Klaus Böger: "Scherbenhaufen so kitten, daß es noch ein Gefäß ergibt." Trotz Fusionspleite weiter mit Großer Koalition
taz: Das große Ziel der großen Koalition war die Fusion. Entfällt mit dem Scheitern die Geschäftsgrundlage für die SPD?
Klaus Böger: Weg ist eine große Perspektive für die Region. Aber der Großen Koalition bleiben zum Beispiel die Aufgaben einer Zukunftssicherung durch Haushaltskonsolidierung, einer sozialen Stadtentwicklung und der Hauptstadtumzug. Wir müssen die Stadt konkurrenz- und wettbewerbsfähiger machen.
Ich habe nie gesagt, die Große Koalition sei ein sanftes Ruhekissen bis zum Fusionstermin. Aber ich bin gegen leere, abstrakte Koalitionsüberlegungen. Wir müssen vielmehr Profil in der Stadt gewinnen. Das gewinnt man nicht dadurch, daß man zugleich regiert und opponiert.
Es ist uns noch nicht gelungen, den Menschen deutlich zu machen, daß die SPD eine realistische Alternative ist. Ich warne davor, sich an Koalitionspielereien abzuarbeiten für Mehrheiten links von der Mitte.
Die Möglichkeiten der SPD, Profil zu gewinnen, sind größer geworden. Man braucht den Haushalt nicht mehr mit der Brechstange bis zum Fusionstermin sanieren, sondern sich mehr Zeit lassen und auch die Nettoneuverschuldung etwas höher legen.
Es kann überhaupt keine Rede davon sein, die Nettoneuverschuldung weiter zu erhöhen. Sie ist schon hart an der verfassungsrechtlichen Grenze. Wer Zukunft und Handlungsspielraum sichern will, muß jetzt Veränderungen schaffen. Die Sparbüchse wieder aufmachen und sagen, jetzt werden alle bedient, das kommt nicht in Frage.
War es ein Fehler, die PDS nicht ins Fusionsboot zu nehmen?
Die PDS ist in den parlamentarischen Erörterungen der Fusion immer voll einbezogen worden. Jetzt hat die PDS einen Phyrrussieg errungen, weil sie damit die Stärkung eines wichtigen Teils von Ostdeutschland verhindert hat.
Ihre kurzsichtige Agitation gegen den Fusionsvertrag sollte verhindern, daß es in dieser Region zu einem positiven Aufbruchsignal kommt. Das wird der PDS noch auf die Füße fallen, das werden auch noch viele ihrer Parteigänger einsehen. Das ist ein sehr billiger Triumph.
Andere Gruppen sind teilweise zähneknirschend in das Fusionskonzept eingebunden worden. Aber der einzige Interessenverband, der auch mobilisieren kann, nämlich die PDS, die hat man links liegen lassen.
Gespräche mit mit der PDS über Projekte hat es immer gegeben. Aber die PDS hat ihre Stärke in der Negation und nicht in einem gemeinsamen Projekt. Ich glaube auch nicht, daß alles anderes gekommen wäre, wenn die PDS ins Fusionsboot gestiegen wäre. Die Formel der PDS, nein zu diesem Vertrag, hat bei der Abstimmung in Brandenburg eigentlich keine Rolle gespielt.
Das war eine Abstimmung über den Verarbeitungsstand der deutschen Einheit und über die reaktivierten Vorbehalte gegen die Hauptstadt der DDR.
Bricht jetzt die harte Konkurrenz aus um jeden ansiedelungswilligen Unternehmer, werden jetzt Brandenburger Bauarbeiter rausgeworfen und arbeitslose Berliner Maurer an ihre Stelle gesetzt?
Nein. Sicherlich steht das Moment der Konkurrenz und der Stärkung der Stadt Berlin für uns im Vordergrund. Es bricht aber kein Krieg aus zwischen den beiden Ländern, sondern es besteht ein Zwang zur Kooperation. Wir müssen den Scherbenhaufen zumindest so kitten, daß es noch ein gemeinsames Gefäß ergibt.
Ich bin verblüfft, daß alle, die gegen die Fusion waren, so tun, als komme nun der Honeymoon mit der Kooperation. Das ist Quatsch. Jede Seite wird ihre Interessen definieren müssen, bei denen es dann über Staatsverträge zu einem Ausgleich kommen muß. Das wird sehr mühsam.
Ich bin auch dafür, daß die Parlamentsausschüsse Berlin-Brandenburg hochrangig besetzt weiter tagen, damit wir nicht alles der Miniterialbürokratie überlassen. Das ist der erzwungene Weg, der uns bleibt.
Berlin hat bereits vor der Abstimmung gefordert, Brandenburg soll sich an der Finanzierung der Agrarfakultät beteiligen. Wird das jetzt auch auf Krankenhäuser und auf den Schulbereich ausgedehnt? Muß man die Steuergesetze ändern für Leute, die in Berlin arbeiten und in Brandenburg Steuern zahlen?
Ich bin skeptisch, ob es gelingt, die Steuergesetze in dieser Weise zu ändern. Richtig ist, daß Berlin alle Anstrengungen unternehmen muß, auch für Einkommensstarke als Wohnort attraktiv zu bleiben, damit wir auch Anteil an deren Steuern haben. Das ist das Moment an Konkurrenz. Wir werden Mechanismen finden müssen, diese Fragen zu einem vernünftigen Ausgleich zu führen.
Kann es der SPD egal sein, daß das Gewicht Berlins in Bonn noch weiter sinkt und Diepgen dort als lahme Ente gilt, dem keines seiner großen Projekte gelingt?
Nein. Das schlechte Signal von gestern ist mir überhaupt nicht gleichgültig. Die Botschaft von gestern ist, die fassen was an und es gelingt nicht. Das ist der brutale Fakt.
Das ist nicht gut für Berlin. Da kann man Schadensbegrenzung machen, aber der Schaden ist da. Ich habe aber keinen Anlaß, auf Diepgen mit Häme zu zeigen. Auch beim Hauptstadtumzug, an dem eine Latte von Investitionsentscheidungen hängen, müssen wir nun unglaublich aufpassen, daß uns der Zeitplan nicht wegrutscht.
Interview: Severin Weiland
und Gerd Nowakowski
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