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Vollmöblierte explosive Splitterbauten

Die Architektin Zaha Hadid baut dekonstruktivistisch – und entsprechend wenige ihrer Entwürfe werden realisiert  ■ Von Till Briegleb

Zaha Hadid in der Galerie für Architektur Renate Kammer in Hamburg tobt. Sie sei „totally pissed off“ und würde gleich in ein Taxi steigen und ins Hotel fahren, blafft sie die drei Architekturstudenten lautstark an, die ihre Modelle und Zeichnungen aufgebaut haben. Grund ihres Zorns ist ein minimaler Fehler bei der Hängung. Später beim Interview sitzt sie breitbeinig und kerzengerade auf einem Stuhl, raucht und hustet und läßt dem Gegenüber stets genau einen Atemzug für seine Frage. Danach nudelt sie ihre Antwort in einem Mordstempo und schlechtem Englisch herunter, als sei sie in eine Schallplatte geritzt, wobei die Gedankennadel vor lauter Sprechhektik des öfteren über die Rillen rutscht.

Es überrascht nicht, daß die Entwürfe der exilirakischen Architektin ähnlich explosiv sind wie ihr Temperament. Splitter während des Flugs und nach dem Aufprall, mit Gewalt auseinanderstrebende Vektoren, bunte Fragmente, die der Gravitation trotzen sollen – Zaha Hadids häretische Attacke auf die Architektur bewirkt die radikale Auflösung jener Bestandteile, aus denen der Mensch bisher seine Häuser zu bauen pflegte. Kein Wunder also, daß der Versuch der Kritik, die Phänomene der Fragmentierung in der Architektur seit den späten 70er Jahren mit dem Schlagwort „Dekonstruktivismus“ zu belegen, mit Vorliebe durch Hadids Entwürfe illustriert wurde. Doch nun, einige Jahre nach der berühmten Ausstellung „Deconstructivist Architecture“ in New York, nachdem sich die gesamte Gruppe von Peter Eisenman über Coop Himmelblau bis Daniel Libeskind genervt von der Domestizierung als „Dekonstruktivisten“ distanziert hat, läßt sich auch das Phänomen der Miss 20.000- Volt der Architektur in seiner Originalität besser erfassen.

Die Gemeinsamkeiten all jener Architekten, die vor 20 Jahren damit begannen, völlig neue Lösungen für die Selbstdarstellung der Gesellschaft in Gebäuden zu suchen, beschreibt Hadid heute wie folgt: „Mitte der 70er Jahre dachte nicht nur ich, daß nun ein Moment des Wandels käme. Daher wurden die Ideen der russischen Konstruktivisten und der europäischen Moderne, daß eine neue Zeit neue Programme bräuchte, für uns sehr wichtig. Die neue Welt, die sich uns gerade offenbarte, war die der Fluidität. Wir fragten uns also, was bedeutet dieses Phänomen der „Flüssigkeit“ für uns, und wie kann es kulturell interpretiert werden.“

So unterschiedlich die damals gefundenen Ansätze auch waren, gemein war ihnen, daß sie die „Psyche“ der geometrischen Konvention entschlüsseln wollten. Eine neue Symbolik für den Menschen des 20. Jahrhunderts sollte erkundet werden. Fanden berühmte Kollegen des damaligen Aufbruchs ihre spätere Obsession in physikalischen (Peter Eisenman), historisch-poetischen (Daniel Libeskind), bombastischen (Rem Koolhaas) oder poppigen (Frank O. Gehry) „Dekonstruktionen“, so beharrte Hadid weiter auf der Kommunikation als dem Hebel zwischen Kunst und alltäglicher Gewohnheit. Dazu verschränkt sie Konzepte, die in den Debatten der Architekten gemeinhin eher feindliche Lager als neue Perspektiven bilden. Denn ihre Idee einer vitalen, gemischt genutzten, urbanen und dichten Stadt scheint sie zu den Konservativen zu sortieren, die den gründerzeitlichen Städtebau erneuern wollen. Ihre Architektur aber verplichtete sie, immer „zu innovativen Positionen zu kommen, und zwar nicht nur in der Art, darüber nachzudenken.“

Wenn Zaha Hadid dieses Bekenntnis zur Praxis ausspricht, dann hat es durchaus einen tragischen Subtext. Denn die Handvoll kleiner Bauaufgaben, die sie in ihrer zwanzigjährigen Tätigkeit tatsächlich realisieren durfte, steht im krassen Widerspruch zu ihrer internationalen Reputation. Dabei hat Hadid, die mit ihrer Familie den Irak verlassen mußte, weil ihr Vater der demokratischen Opposition angehörte, einige der prominentesten internationalen Wettbewerbe der vergangenen Jahrzehnte gewonnen. So setzte sie sich 1982 mit ihrem Entwurf gegen Hunderte von internationalen Stararchitekten beim Wettbewerb „The Peak“ in Honkong oder jüngst in Cardiff durch, wo ihr siegreicher Plan für das neue Opernhaus zu einem Dauerstreit führte, der schließlich darin gipfelte, daß der Lotto-Fund, der das Projekt bezahlen sollte, den rugbyverrückten Walisern lieber ein neues Stadion finanziert. Und auch in Berlin am Kurfürstendamm zog der Bauherr für ein 2,70 Meter breites Problemsahnestückchen den kalten Techniker Helmut Jahn der siegreichen Londonerin vor.

Einer der Gründe, die Hadid hinter dieser permanenten Brüskierung vermutet, ist ihr Geschlecht. Und tatsächlich gibt es kaum eine Profession, Staatspräsidentschaft eingeschlossen, in der so wenige Frauen in der ersten Reihe agieren, wie in der Architektur. Selbst dort, wo Frauen als gleichberechtigte Partner in Büros arbeiten, spielen stets die Männer im Medienzirkus die erste Geige. „Grundsätzlich ist es für Frauen sehr schwer, sich durchzusetzen. Sie werden immer gönnerhaft behandelt, so, als könnten sie es nicht. Über 80 Prozent der Politiker, Bauherren und Developer sind eben Männer, und Männer mögen es nicht, wenn Frauen ,tough‘ sind.“

Aber trotzdem ist dies nicht der wichtigste Grund, warum Hadid, außer bei der Stararchitektensammelstelle der Firma Vitra in Weill am Rhein, wo sie ein neokonstruktivistisches Feuerwehrhaus aus nacktem Beton bauen durfte, und einem IBA-Wohnhaus in Berlin, keine weiteren Projekte realisieren konnte (Pavillons, Innenausbauten und Gebrauchsdesign einmal ausgenommen). Die wahre Schwierigkeit der Bauherren angesichts „dekonstruktivistischer“ Ideen dürfte sein, daß hier erstmals eine Architektur aufgetaucht ist, die die alltäglichen Gewohnheiten nicht nur kritisiert, sondern komplett in Frage stellt – und die zudem ausgesprochen teuer ist. Denn wer zwischen zwei schrägen Wänden und einer sich niederfaltenden Decke versucht, ein liebgewonnenes Regal zu plazieren, wird schnell feststellen, daß diese Architektur nur im vollmöblierten Komplettentwurf funktioniert. Das Problem hatten zwar auch schon die Bewohner der Schauhäuser Le Corbusiers oder Mies van der Rohes, aber da waren wenigstens die Koordinaten noch rechtwinklig.

Diese Erkenntnis, daß trotz philosophischer Abgehangenheit die Nützlichkeit ihrer Entwürfe nur im Luxusmilieu gegeben ist, wo Geldvermehrung zudem vor philosophischen Störversuchen rangiert, hatte wohl inzwischen auch Einfluß auf Hadids „Kalligraphie“. Schon das Wohnhaus in Berlin wirkt im Vergleich etwa mit den kaum zu entziffernden Gemälden für den Hongkong-Wettbewerb extrem gezähmt, und selbst ihr neuestes Projekt mit Chance auf Verwirklichung, die Umschlingung eines Eisenbahnviadukts von Otto Wagner in Wien, mit Büros, Wohnungen und Studios, ist in ihrem willkürlichen Umgang mit den Zentrifugalkräften zugunsten von verständlicher Optik abgemildert. Damit kehrt sie auch ein wenig aus der Zukunft der Diskurse zurück, in die Sphären der Geschmacks- und Gewohnheitstiere, in denen die Menschen leben, die einmal ihre Häuser bewohnen müssen. Und darüber kann Zaha Hadid dann plötzlich auch ganz prosaisch sprechen: „Man sollte den Menschen einen besseren Ort zum Leben geben. Dabei ist nicht die Größe des Raumes wichtig, sondern seine Qualität. Wir versuchen uns nun an einer besonderen Artikulation des Raumes. Der kritische Punkt an einem Entwurf ist“, und plötzlich wird auch ihre Stimme etwas langsamer und wärmer, „ob die Menschen Freude an diesem besondern Raum haben werden.“ Das auszuprobieren, sollte man Zaha Hadid nun langsam wirklich einmal Gelegenheit geben.

Zaha Hadid: „Recent Projects 1990–1995“. Katalog Galerie Renate Kammer, Münzplatz 1, Hamburg

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