: Als Kronzeuge gegen Karadžić?
Der bosnische Serbe Dušan Tadić ist der erste Angeklagte, der sich vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten muß. Zeugen werden immer noch eingeschüchtert ■ Aus Den Haag Andreas Zumach
Über zweieinhalb Jahre nach der Einrichtung des UN-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag beginnt dort heute das erste Verfahren. Angeklagt ist der bosnische Serbe Dušan Tadić. Die im Herbst 1994 erhobene Anklage wirft dem heute 40jährigen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie schwere Verstöße gegen die Genfer Konvention und das Kriegsvölkerrecht vor. Zwischen Mai und November 1992 soll er als Oberaufseher in dem nordwestbosnischen Lager Omarska die Ermordung von mindestens 13 Menschen und die Folterung von weiteren 18 Personen angeordnet haben oder unmittelbar daran beteiligt gewesen sein. Außerdem soll Tadić mindestens eine Frau vergewaltigt haben. Eine zweite, im Oktober 1995 nachgereichte Anklageschrift legt Tadić ähnliche Verbrechen im Lager Keraterm zur Last.
Ursprünglich hatte der Prozeß im September 1995 beginnen sollen. Doch Tadićs Anwälte versuchten zunächst, das Verfahren völlig zu verhindern. Das Tribunal sei „nicht zuständig“, seine Einrichtung durch den UN-Sicherheitsrat im November 1993 „nicht vereinbar mit dem Völkerrecht“ begründeten sie ihre zahlreichen Anträge auf Niederschlagung des Verfahrens. Zudem seien die RichterInnen des Tribunal nicht objektiv und von „vornherein antiserbisch“ eingestellt. Im September 1995 wies die zuständige Kammer des Tribunals diese Anträge zurück. Danach änderten die Anwälte ihre Strategie. Mit Argumenten wie „zu wenig Zeit für die Akteneinsicht“, unzureichende „Finanzmittel für die Verteidigung“ erreichten sie eine Verzögerung von sieben Monaten. Das Gericht gab diesen Anträgen statt, damit Tadićs Verteidiger im Hauptverfahren keine Formfehler reklamieren können.
Inzwischen haben die Anwälte rund 50 EntlastungszeugInnen angekündigt. Die ZeugInnen sollen aussagen, daß sich Tadić zum Zeitpunkt der ihm zur Last gelegten Verbrechen nicht in Omarska beziehungsweise Keraterm aufgehalten hat. „Mein Mandant wird mit einem Namensvetter verwechselt“, erklärte Hauptverteidiger Michail Wladimiroff.
Für die Ermittler und Ankläger des Tribunals ist es – im Fall Tadić wie in den Fällen der anderen bislang 56 Angeklagten – sehr viel schwieriger, aussagebereite ZeugInnen aufzubieten. Denn immer noch herrscht ein Klima der Einschüchterung und Angst, werden potentielle ZeugInnen und überlebende Opfer sowie deren Anverwandte in Exjugoslawien massiv bedroht und eingeschüchtert. Auch zweieinhalb Jahre nach Einrichtung des Tribunals ist das ursprünglich vorgesehene Schutzprogramm für ZeugInnen und Opfer wegen der völlig mangelhaften Finanz- und Personalausstattung immer noch rudimentär.
Trotz dieser Schwierigkeiten kann sich die Anklageschrift gegen Tadić auf zahlreiche Aussagen überlebender Lagerinsassen stützen, die Tadić ohne Zweifel wiederkannt haben und ihn mit detaillierten Angaben über die einzelnen Verbrechen eindeutig belasten. Zu den BelastungszeugInnen gehören die bosnisch-muslimischen Flüchtlinge, die Tadić in München auf der Straße wiedererkannten und deren Hinweise im Februar 1994 schließlich zu seiner Festnahme durch die bayerische Polizei führten.
Der Chefankläger des Tribunals, Richard Goldstone, hofft, Tadić nicht nur die ihm selbst zur Last gelegten Verbrechen nachweisen zu können, sondern auch, daß er „die Verfolgung der Zivilbevölkerung“ und die „ethnische Säuberung“ in der Region Prijedor „willentlich und systematisch“ betrieb, und dabei auf Befehl der politischen und militärischen Führung der bosnischen Serben in Pale handelte. Laut einer Zeugenaussage war Tadić „kein gewöhnliches Mitglied des Wachpersonals“, sondern gehörte einer „Sondertruppe Blauer Adler“ an. Tadić könnte zum Kronzeugen gegen den damaligen „Innen- und Polizeiminister“ der „Serbischen Republik“ werden, möglicherweise sogar gegen Karadžić selbst.
Tadić wurde im April 1995 von Deutschland nach Den Haag überstellt und sitzt seitdem im Untersuchungsgefängnis des Tribunals in Scheveningen. Der Prozeß gegen ihn ist auf drei Monate angesetzt.
Insgesamt hat das Tribunal bislang 57 Personen angeklagt – darunter 43 bosnische Serben, drei Offiziere der Armee Serbiens, acht bosnische Kroaten sowie drei Muslime. Zwei Angeklagte befinden sich ebenfalls in Scheveningen; je zwei weitere sitzen in Gefängnissen in Sarajevo und in Deutschland. Die übrigen 49 Angeklagten, darunter Karadžić und Mladić, befinden sind weiterhin auf freiem Fuß.Kommentar Seite 10
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