: Die Mär vom Diktat der Investoren
taz: Hamburg verscherbelt häufig sanierungsfällige Altbauten an private Investoren und beklagt sich später, wenn diese ihrem städtebaulichen Auftrag nicht nachkommen. Den Wasserturm im Sternschanzenpark verkauften die Wasserwerke 1990 mit der Auflage, ihn künftig je zur Hälfte öffentlich und privat zu nutzen. Den Zeitpunkt der Restaurierung aber überließ man dem Investor. Seitdem verfällt der Turm. Haben die städtischen Steuerungsmöglichkeiten versagt?
Hans-Jürgen Ermisch: Wenn die Stadt klug handelte, hätte sie beim Verkauf auf einer Bankbürgschaft bestanden, um sicher zu gehen, daß der Erwerber das Vorhaben finanziell realisieren kann. Außerdem hätte die künftige Nutzung über eine Betriebsbeschreibung präzise festgelegt werden können. Wer zum Beispiel lediglich „Gewerbenutzung“ vereinbart, läuft hinterher – überspitzt formuliert – Gefahr, auch ungewolltes Rotlichtmilieu in Kauf nehmen zu müssen. Für die Realisierung muß es genaue Zeitvorgaben geben.
Dann vereinbart man noch ein fakultatives Wiederkaufsrecht für die Stadt zum Einstandspreis. Das bringt Druck: Erfüllt der Investor die Vereinbarungen nicht fristgerecht, kann die Stadt zurückkaufen, und bisher getätigte Investitionen sind gefährdet.
Die Stadt trennt sich von Objekten, weil sie die Instandsetzung nicht bezahlen kann. Die Investoren wissen, daß hinter dem Wiederkaufsrecht keine ernstgemeinten Absichten stehen.
Die Stadt sollte zusätzlich eine Vertragsstrafe für die nicht zeitgemäße Erfüllung des Vertrages abschließen. Das ist übrigens Standard bei der Veräußerung von Gewerbegrundstücken. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, daß nicht alles, was rechtlich vereinbart werden könnte, auch wirtschaftlich verhandelbar ist.
Ist die Stadt wirklich machtlos, unliebsame Bauvorhaben zu verhindern, wenn ein Objekt von privat an privat verkauft wird? Den Erhalt des Süllberg-Restaurants konnte sie angeblich nicht durchsetzen, weil ihr der alte Café-Betrieb zum Zeitpunkt des Verkaufs gar nicht mehr gehörte.
Grundsätzlich ist jeder Eigentümer berechtigt, sein Grundstück zu veräußern und im Rahmen des Baurechts damit zu machen, was er will. Anwohner haben dann gar nichts zu melden. Man kann den Investor nicht zwingen, Verträge rückgängig zu machen. Praktisch ist das häufig ganz anders. Oft braucht der neue Besitzer die Behörde, weil er nach geltendem Baurecht sein Vorhaben überhaupt nicht realisieren kann. Also verhandelt er über Befreiungen vom Bebauungsplan, etwa um auf Gewerbeflächen Wohnungen bauen zu dürfen. Ist die Genehmigung dann einmal erteilt, bestehen für den Investor keine nennenswerten Bindungen mehr.
Im Gegensatz zu Hamburg nutzen andere Kommunen längst den sogenannten Vorhaben- und Erschließungsplan nach dem Wohnungsbau- und Investitionserleichterungsgesetz für sich aus: Dieser Plan gilt nicht nur – wie viele glauben – in den neuen Bundesländern, und ersetzt den herkömmlichen B-Plan, liefert also die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Bauvorhabens. Mit dem Unterschied, daß dieses Vorhaben bis in die letzten Einzelheiten von dem Investor beschrieben werden muß, fast so wie ein Bauantrag.
Kann die Stadt so böse Überraschungen vermeiden?
Die Stadt kann so erstens den Investor enger an sich binden. Außerdem kann sie dem Bauherrn die ganze finanzielle Last übertragen, auch für die Folgekosten. In einem Wohngebiet müßte der Investor dann nicht nur für die Häuser, sondern auch beispielsweise Kindergärten, Straßen, Kanalisation sorgen. Man überträgt ihm die ganze Planungsproblematik und das gesamte Realisierungsrisiko. Möglich ist auch, zusätzlich einen Anspruch auf Zustimmung bei Weiterveräußerung zu vereinbaren, um eine Weiterveräußerung des Grundstücks zu verhindern.
Die Stadt behauptet aber, zu solchen Konditionen keine Investoren zu finden. Außerdem sei es schwierig, einen Vorhaben- und Erschließungsplan für Gebiete mit mehreren Investoren zu erstellen.
Die Erfahrungen der Flächenstaaten beweisen das Gegenteil. Hamburg traut sich wohl nicht aus Tradition. Dabei hat auch der Investor mehr Sicherheit, wenn er einen Vorhaben- und Erschließungsplan macht: Er kann eine sehr viel detailliertere Planung entwickeln. Die ganzen Unwägbarkeiten eines normalen Bauleitplanverfahrens, das sich über Jahre erstrecken kann und deshalb abschreckt, entfallen.
Ist der Hamburger Senat investorenhörig?
Ich glaube, das Problem liegt eher beim fehlenden Know-how. Die Behörde hat zwar die personelle Kompetenz, ganz hervorragende Juristen, aber sie ist sachlich eingeschränkt. Ausgerechnet an unverzichtbaren Rechtsdatenbanken und Informationsmedien wird gespart. Viele gesetzliche Neuerungen gehen an der Verwaltung vorbei.
Welche Steuerungsmöglichkeiten hat die Stadt, wenn der Investor – wie am Süllberg – nicht auf Kompromisse angewiesen ist, weil ihm bereits ein Grundstück gehört, auf dem er nach dem gültigen Baurecht massenweise Gebäude hinklotzen könnte und will?
Das ist schwierig. Normalerweise müßte die Gemeinde dann nach geltendem Baurecht die Baugenehmigung erteilen. Sie kann das aber konterkarieren, wenn sie ein Planänderungsbedürfnis feststellt.
Nehmen wir an, eine Wiese am Stadtrand sei als Gewerbefläche ausgewiesen. Nach geltendem Baurecht könnte dort der antragstellende Investor also einen städtebaulich unerwünschten Supermarkt errichten. Um das zu verhindern, faßt die Stadt den Beschluß, einen neuen Bebauungsplan aufzustellen. Außerdem verhängt sie eine Veränderungssperre. Dadurch wird sichergestellt, daß der Investor sein ursprünglich zulässiges Bauvorhaben nicht umsetzen kann.
Die Rechtssituation kann also nachträglich geändert werden?
Das Wichtige ist, und das wird immer wieder verkannt, daß die Rechtssituation bei Eingang des Bauantrags nicht unbedingt maßgebend ist. Die Behörde kann sie noch verändern: Ob der Antrag zu einem Zeitpunkt eingereicht wurde, als der Altplan die Genehmigungsfähigkeit noch hergab, darauf kommt es verwaltungs- und baurechtlich nicht an.
Anschließend muß das Bebauungsplanverfahren dann aber natürlich auch betrieben werden. Sonst würde das ja zu Mißbrauch führen: Gemeinden könnten bei jedem unliebsamen Bauprojekt zur Abschreckung der Investoren den sogenannten Schubladenplan herausholen. Und jetzt kommt der Haken: Wenn der Investor bereits Vertrauensinvestitionen geleistet hat, muß die Stadt diese Kosten grundsätzlich entschädigen.
Was aber, wenn das Grundstück, wie am Holzhafen, bereits anhandgegeben oder gar ein positiver Vorbescheid erteilt wurde?
Auch das ist häufig nicht bekannt: Der Hamburger Vorbescheid ist – einzigartig in der Bundesrepublik – nicht planänderungsfest. In allen anderen Ländern würden sich Vorbescheide gegen Planänderungen durchsetzen. In der Hamburgischen Bauordnung aber heißt es, daß Vorbescheide grundsätzlich erlöschen, wenn sie nicht binnen drei Jahren in Anspruch genommen werden. Ein Vorbescheid wird auch unwirksam, sobald für das Grundstück eine Veränderungssperre in Kraft getreten ist oder ein Bebauungsplan öffentlich ausgelegt oder ohne öffentliche Auslegung festgestellt worden ist.
Nehmen wir an, die Behörde hat einen Vorbescheid erteilt, und nun gefällt ihr der aber nicht mehr. Weil die drei Jahresfrist noch nicht abgelaufen sind, besteht eigentlich ein Bauanspruch. Wenn man aber einen Aufstellungsbeschluß für einen neuen B-Plan faßt und zugleich eine Veränderungssperre erläßt, wird der Vorbescheid in Hamburg unwirksam.
Warum wird das nicht genutzt?
Da muß man in jedem Einzelfall konkret bei der Behörde nachfragen. Fragen: Heike Haarhoff
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