■ SURFBRETT
: Der Link der Linken

Ordentliche, das heißt deutsche Marxisten halten das Internet immer noch für einen besonders schwer zu durchschauenden Trick der internationalen Hochfinanz. Anarchisten hatten seit jeher weniger Angst vor dem Computer. Seit Anfang des Jahres gibt es nun beides zugleich in deutscher Sprache, Marx und Mac: „Trend – Die Onlinezeitung für die tägliche Wut“ (http://ourworld.compuserve.com:80/homepages/trend/). Geduldiges Klicken bringt unter anderem eine Erklärung der Berliner Wagenburgen hervor, außerdem einen Bericht über die Vorbereitungen zum „revolutionären 1. Mai“, Texte über Hausbesetzungen in Berlin, die PKK, die Autonomen, einen Aufsatz über den Freiheitsbegriff des Anarchismus, Demo-Termine.

Da kommen romantische Vorstellungen auf von nomadisierenden Wagenbürgern, die, mit Laptop und Handy bewaffnet, im Cyberspace publizieren. Tatsächlich wird „Trend“ von einer Gruppe Kreuzberger Linker herausgebracht, die sich selbst als „alte 68er“ bezeichnen. Außer eigenen Beiträgen haben die Linksradikalen von „Trend“ eine hervorragend recherchierte Liste mit Bookmarks zusammengestellt: von „A“ wie „Anarchismus“ bis „Z“ wie „Zapatisten“. „Mit der linken Maustaste“ kann man die Marxsche Werttheorie downloaden; andere Hyperlinks führen zur Homepage der Kampagne für Mumia Abu-Jamal oder zu Grafikdateien von revolutionären Flugblättern des Heidelberger Asta.

„Trend“ ist aus einer Zeitschrift der Kreuzberger Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hervorgegangen, die im vergangenen Jahr von der Gewerkschaftsleitung wegen eines mißliebigen Artikels die Unterstützung gestrichen bekam. Die drei abgeschossenen Redakteure wollten trotzdem weiter ein Magazin machen und schlossen sich dem „großen Treck in den Cyberspace“ an: Sie entschieden sich, „Trend“ bei „Ourworld“ weiterzuführen, dem Homepages-Servive von CompuServe, brachten sich den WWW-Code „HTML“ bei, und am 18. Januar erschien die erste Ausgabe des „Trend“ – ausschließlich im Netz.

Und auf einmal war das Kreuzberger Blatt allen geschätzten 40 Millionen Internetnutzern in der ganzen Welt zugänglich – und zwar gleich neben dem „Spiegel“ und dem „Wall Street Journal“. Marx hätte sich gefreut, zumindest ist eingetreten, was Netzapostel schon immer predigen: Mit geringen Mitteln kann hier jeder Produzent und Konsument zugleich sein. Tilman Baumgärtel

100131.2223@compuServe.com