: „Man ist einfach Schiffbauer“
Noch gehen sie auf die Werft. Sich ein Leben mit weniger Geld vorzustellen ist nicht so schwierig, wie sich ein Leben ohne den Vulkan vorzustellen: Zwei Schiffbauer nach der Pleite ■ Aus Bremen Claudia Thomsen
Der Händedruck des großen, kräftigen Mannes mit den leicht gelockten grauen Haaren erinnert daran, daß das Leben kein Wunschkonzert ist. Rolf Gerstmeyer, 54 Jahre alt, Schiffbauer auf der Bremer Vulkan-Werft. Aus den Lautsprechern der Anlage im Wohnzimmer rockt leise die Stimme von Bruce Springsteen, dem Boss: „Born in the USA“. Es ist Wochenende.
Gerstmeyer lebt mit seiner Frau im Bremen-Huchting. Dieser Stadtteil der mäßig hohen, mit Balkons bestückten und von gut zu bebolzenden Rasenflächen umgrünten Wohnblocks wird durchweg von werktätigen Normalbürgern bewohnt. Vor den Blocks in der Tilburger Straße blühen gelbe Stiefmütterchen wie Signale: „Achtung. Sozialdemokratie!“
Der Vulkanese beginnt langsam von der Stimmung auf den Docks und in den Hallen zu erzählen. „Auf der Werft, das ist wie ein Sterben. Die Leute haben keinen Mumm mehr. Die wollen ja arbeiten und Opfer bringen, und das machen sie ja auch. Manche arbeiten jetzt sogar noch doller, um abschalten zu können. Bei der Arbeit, da kann man wenigstens mit dem Hammer irgendwo gegenhauen, damit man mal seinen Frust loswird.“
Der Mann im flaschengrünen Hemd, dessen Ärmel selbstverständlich auch sonnabends hochgekrempelt sind, baut seit 25 Jahren Schiffe zusammen auf der Vulkan-Stammwerft in Bremen-Vegesack. Zur Zeit arbeitet er, wie fast alle seiner übriggebliebenen Kollegen, an der Fertigstellung des Luxusliners „Costa 2“. Um das Passagierschiff termingerecht zu Wasser lassen zu können, werkelt die Restbelegschaft 40, 45 Stunden, wie bisher. Offiziell hat sie eine 30-Stunden-Woche, und nur 30 Stunden werden auch bezahlt: „Einige begreifen immer noch nicht, daß das keine Überstunden sind“, schüttelt Rolf Gerstmeyer traurig den Kopf.
Viele „Werftis“ haben es so lange wie möglich vermieden, sich mit den Konsequenzen der Vulkan-Pleite auseinanderzusetzen, was die Fraueninitiative „Brot und Rosen“ dazu veranlaßte, an ihre Kolleginnen und Kollegen Fragebögen zu verteilen, in die alle monatlichen Ausgaben und die verringerten Löhne eingetragen werden sollten. „Da fiel es einigen wie Schuppen von den Augen.“
Auch Rolf Gerstmeyer gibt zu, nicht frei zu sein von irrationalen Kniffen, die es ihm leichter machen: „Man selbst denkt ja auch, wenn das Jahr um ist, kommt einer und investiert 100 Millionen. Gut, das ist irgendwie Blödsinn, aber es ist immer noch hier“ – er deutet auf sein Herz – „drin.“ Daß der Mittfünfziger gleichzeitig Hoffnung hegt und Verzweiflung spürt, „alles zusammen in einem Pott und umgerührt“, liegt weniger an der Angst vor dem materiellen Ruin. Seine Frau ist berufstätig, und um seinen Sohn, der ein paar Straßen weiter wohnt, muß er sich keine Sorgen mehr machen.
Aber „ab einem gewissen Alter ist man einfach Schiffbauer. Dann ist man es gewohnt, mit dickem Eisen zu arbeiten. Wenn man das beispielsweise mit einem Automechaniker vergleicht, der mit Dünnblech arbeitet – da liegen Welten dazwischen. Ich wüßte gar nicht, als was die mich umschulen sollten. Dienstleistungen etwa? Dann werden wir alle Oberkellner und die Frauen Dienstmädchen.“
Der Mann, der es sich barfuß auf seinem Ledersofa bequem gemacht hat, ist stolz auf seinen Beruf, obwohl dessen Höhepunkte rar geworden sind. „Früher gab es ja den Stapellauf, das war herrlich. Manchmal spielte das Straßenbahnorchester, es gab Freibier und Bockwurst, und dann kam das Schiff. Die Ketten rasselten, und dann rutschte das ins Wasser rein. Da wußte man, was man gemacht hatte. Da waren noch Gefühle da.“
Gefühle, die verschwunden sind wie die Arbeiter auf der Werft. Rolf Gerstmeyer hat bereits mehr Kollegen und Kolleginnen zum letzten Mal durchs Werktor gehen sehen, als jetzt noch auf der Werft sind. 1975 haben „auf dem Vulkan“ in Vegesack noch 5.690 Menschen ihr Brot verdient, bereits vor der aktuellen Krise waren es nur noch 2.000. „Jeder denkt jetzt an sich, das ist nicht mehr wie früher. Wenn da irgendwas gewesen ist, wenn sie einen zum Beispiel mit der Lohngruppe beschissen haben, dann hat einer vom Betriebsrat die rote IG-Metall-Fahne in die Kaffeeküche gestellt, und nachmittags standen da 3.000, 4.000 Leute.“
Manchmal macht sich Rolf Gerstmeyer Sorgen, ob er sich in den letzten Wochen nicht zu artig, zu pflegeleicht verhalten habe. „Nachts wacht man manchmal auf, da fällt einem wieder irgendwas ein, was einen anstinkt. Dann sinniert man, ob man nicht doch mehr hätte machen müssen...“ Etwa bei der Werftendebatte in Bonn: „Durchleuchtet wurden wir wie auf dem Flughafen, wie Kriminelle. Später durfte man nicht ,buh!‘ rufen, nicht klatschen, wir mußten wirklich mit gefalteten Händen dasitzen.“ Selbst den Blaumann, immerhin ein Statussymbol, haben er und seine Kollegen sich verbieten lassen. Und die ganze Folgsamkeit nur, um von der zweiten Politikergarde begutachtet zu werden. „Der Dicke, unser König, der war gar nicht da!“
Aber radikaler zu protestieren erscheint ihm auch unrealistisch: „Also, dann hol' ich Zelt und Schlafsack aus dem Keller und fahre für ein paar Tage nach Bonn. Morgens fahren vielleicht noch tausend Kollegen mit, aber abends fahren schon wieder fünfhundert nach Hause.“
Kein Wunder, daß der Schiffbauer deshalb immer öfter an andere Orte denkt. „Wir fahren schon seit über 25 Jahren dahin, um zu angeln und Krebse zu fangen. Da gibt es auch Boote, außerdem könnte ich Fische trocknen und an Touristen verkaufen.“
Noch jedoch ist Rolf Gerstmeyer wochentags auf dem fünften Deck der „Costa 2“, Spand 126 zu finden. Auf der Fahrt zur Werft erzählt der Taxifahrer, was er die letzte Nacht geträumt hat: Er hat 500 Vulkan-Aktien für 1,55 Mark gekauft. Alle raten ihm, das Paket zu verkaufen, was er nicht will, da es dem Vulkan bald besser gehen soll...
Das Verwaltungsgebäude der Werft steht an der Lindenstraße 110. Zwischen dem Bürokomplex und den Produktionsstätten liegt ein verwilderter Park, durch den ein, zwei Rehe huschen. Die erste Fabrikationshalle ist fast leer. „Das ist ein blödes Gefühl, wenn man hier ganz alleine ist, wie in einer Geisterhalle“, sagt einer der wenigen, die hier und nicht „an Bord“ zu tun haben. Joachim Gross ist dasselbe wie Rolf Gerstmeyer, Schiffbauer. 1975 fing er eine Lehre auf dem Vulkan an und hat seither in Vegesack gearbeitet. Der 37jährige, gewohnt, jeden Hammerschlag nach Dienstschluß gut bezahlt zu bekommen, kann nicht glauben, daß sich Leistung nicht mehr lohnen soll: „Es kommt jetzt darauf an, daß die Schiffe fertig werden, damit wieder ein bißchen Geld reinkommt. Ich mache meine Arbeit dafür so gut ich kann, jetzt noch mehr als vorher.“ Seine Frau arbeitet als Buchhalterin, auch für ihn bedeutet die Pleite seines Arbeitgebers nicht das blanke Elend. Der drahtige Mann mit den dunklen Augen mag sich dennoch nicht ausmalen, wie es wäre, nicht mehr zu arbeiten: „Es gibt Schwarzseher, und es gibt Optimisten. Ich gehöre zu den Optimisten. Was soll ich mich jetzt schon verrückt machen?“ spricht er in die leere Halle.
Der Erinnerung an den zweiten Mai, als bekanntgegeben wurde, wer nach Hause zu gehen hat und wer noch gebraucht wird, kann allerdings auch Joachim Gross nichts Positives abgewinnen. „Da sind etliche Tränen geflossen. Einige haben sich gar nicht vors Tor getraut, weil die Presse sich auf die am meisten gestürzt hat, bei denen der Kopf am tiefsten hing.“ Seine Kollonne will sich nicht aus den Augen verlieren: „Wir wollen vielleicht einmal im Monat einen Frühschoppen organisieren“, erzählt Gross. Auch er erinnert sich an andere Zeiten. Früher gab es ein Fährschiff und Busse, die die Arbeiter aus seinem Wohnort Delmenhorst in die Werft brachten. Seit ein paar Jahren schon steigt der Vulkanese allein ins Auto, um die 35 Kilometer zur Arbeit zu fahren, denn in der Nachbarschaft wohnt kaum noch ein Kollege. Keine Arbeit mehr zu haben, sagt Joachim Gross irgendwann ruhig, das wäre „wie Weihnachten ohne Tannenbaum“.
Auf der „Costa 2“ ist von Konkurs nicht viel zu merken. Schweißer und Schiffbauer sind das, was Rolf Gerstmeyer als „vertieft in die Arbeit“ bezeichnet hat. Wie unter Tage bewegen sie sich in dem mit Rostschutzfarbe überzogenen Stahlgebilde. Lampen spenden gelbes Licht. Zum Sprechen ist es viel zu laut. Alle hier wollen unbedingt ein Kreuzschiff termingerecht fertigstellen, auf dem sich keiner von ihnen später die verdiente Entspannungstour wird leisten können. Auch die zahlreichen Transparente mit den Aufschriften „Wir wollen Arbeit“ oder „Wo bleibt unsere Zukunft?“ wirken – von diesem Stück Luxus im Rohbau aus gesehen – irgendwie deplaziert. Für die Betrachtung von derlei Spitzfindigkeiten hat hier allerdings niemand Lust und Zeit.
Nach Schichtende stehen Rolf Gerstmeyer und Joachim Gross, beide in Zivil, vor dem Tor. In der Solidarkasse des Vereins „Wir Vulkanesen“ werden noch Spendengelder benötigt für bedürftige Kollegen. Sie freuen sich auf den Feierabend. Unwillkürlich drängt sich der Gedanke auf, daß es den ohne Arbeit auch nicht mehr geben wird. „Vergeßt den Vulkan nicht“, winkt Rolf Gerstmeyer zum Abschied.
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