■ Viele Grüne meinen, sie seien jetzt endlich dran mit dem Regieren. Die Frage „Wozu?“ wird immer leiser gestellt
: Welches Grün hätten wir denn gern?

Die bündnisgrüne Partei ist kein auswechselbarer Waggon, den man einfach von der linken Schiene auf die rechte setzen kann, um ihn beliebig mal dem einen, mal dem anderen Zug anzukoppeln. Auch eine Parteisprecherin kann sich nicht anmaßen, derart Verschiebebahnhof zu spielen.

Partei und Fraktion sind nicht allein an den politischen Prozessen beteiligt, auch wenn sie häufiger in der Zeitung stehen. Genauso wichtig sind die Grupppierungen und WählerInnen, die unsere Politik bisher unterstützen, sowie die Milieus, in denen sie sich bewegen. Ohne diesen Unterbau, der aktiv an gesellschaftlichen Prozessen beteiligt ist und ein „alternatives Bewußtsein“ prägt, hat die Partei Bündnis 90/Die Grünen keine Zukunft. Natürlich wohnen viele dieser Gruppen auch mittlerweile „bürgerlich“ – und nicht mehr in der WG. Allerdings ist das Selbstverständnis, so führte es Hubert Kleinert auf dem Strategiekongroß im Oktober 1995 durchaus professoral ausgewogen aus, „links“. Wer einige maßgebliche WortführerInnen unserer Parteirechten, die überproportional in der Fraktion vertreten sind, beobachtet, kann jedoch zu der Frage kommen, ob die Grünen noch für ein linkes Politikprojekt stehen.

In der Finanzdebatte wird parteiintern kräftig versucht, von links nach rechts zu „steuern“. Wenn Oswald Metzger mehr Gemeinsamkeiten mit der CDU sieht als mit der SPD, scheint er den Haushalt der Bundesrepublik Deutschland mit dem einer Kommune zu verwechseln und verweigert sich bewußt einer linken Fiskal- und Wirtschaftstheorie, die „post- keynsianisch“ immerhin noch zwischen Volks- und Betriebswirtschaft zu unterscheiden weiß – und die durchaus eine realitätstüchtige Umsetzung in einem grün-roten Bündnis erfahren könnte. Angesichts einiger Debatten unserer Bundestagsfraktion müssen wir uns inzwischen schon fragen lassen, ob wir noch wissen, wie Umverteilung geschrieben wird.

Da werden die Konvergenzkriterien der Wirtschafts- und Währungsunion rundum als Selbstzweck akzeptiert – und eine „Sozial- und Umweltunion“ zurückgestellt. Da wird locker vom Hocker ein Parteitagsbeschluß gegen die Öffnung der Ladenschlußzeiten mit 18 zu 14 Stimmen in der Fraktion kassiert. Es ist nicht nur das Schwarz-Grün-Geplänkel als Farbspielchen, das beunruhigt, sondern auch die offensichtliche inhaltliche Annäherung – als Weichenstellung – an die herrschende konservativ-liberale Politik.

Die Rede von der babylonischen Gefangenschaft im Bündnis mit der SPD ist Nonsens. Das wirkliche Problem ist ein doppeltes: Erstens gibt es nicht einfach eine gesellschaftliche Mehrheit für eine andere Politik in diesem Land, zweitens ist das zugrunde liegende Marktmodell der Politik falsch: Mehrheiten für relevante politische Projekte sind nicht einfach vorhanden. Das ist niemals der Fall. Sie müssen erst geschaffen werden. Nicht Neukombination vorhandener politischer Einstellungen, sondern deren Veränderung, die Schaffung neuer Bewußtseinslagen und Bündnisse ist wirkliche Politik. Leider hat auch die Schwarz-Grün-Spekulation in diesem Kontext einen präzisen Sinn: Einige führende Mitglieder unserer Partei wollen gern ihre Partei- und Wählerbasis abwählen und sich eine andere suchen.

Ein Politikwechsel muß aber von Hirn und Herz einer Mehrheit der Bevölkerung in diesem Land gewollt sein. Das bedeutet, analog dem „sozialliberalen“ Aufbruch, daß mehr als 60 Prozent in diesem Lande von einer möglichen anderen Politik überzeugt werden müssen. Da reicht es nicht, Farbspielchen zu betreiben. Da muß ich einmal von Strömung zu Strömung Fritz Kuhn loben, wenn er von der Notwendigkeit einer „fröhlichen Opposition“ spricht. Und es ist auch richtig, zu kritisieren, daß unsere Generation – die GründerInnengeneration der Westgrünen – ungeduldiger denn je meint, daß sie qua Generation eigentlich dran sei mit dem Regieren. Tatsächlich wird die Frage „Wozu?“ immer leiser gestellt. Sogar Linke disqualifizieren die Oppositionsarbeit als „unpolitisch“ und wollen uns zum Regieren um jeden Preis verdammen.

Wir haben es mit einem zweijährigen sogenannten „Burgfrieden“ zwischen Strömungen geschafft, daß wir wieder mit gerade mal sieben Prozent im Bundestag vertreten sind. Wir hatten ein klares Profil und ein nachvollziehbares Ziel. „Reformpolitik“ war das Stichwort. Seitdem geht das unselige Wort der „Gestaltungspartei“ um, als offensichtlicher Ersatz für eine Reformpolitik. Schauen wir nach Hessen, so droht sich die Reformpartei in eine „Machtbeteiligungspartei“ zu verwandeln. Die Parteirechte muß schon zuverlässig erklären, ob sie nur in Wahlkampfzeiten zu den inhaltlichen Reformprojekten steht oder auch danach. Wenn schon zu Oppositionszeiten Teile der Fraktion nichts Besseres zu tun haben, als durch Faktensetzung und Ignoranz gegen die Partei zu arbeiten, wie, bitte, soll dann regiert werden? Dies gilt auch für Hamburg oder das Saarland – und hier will der gute Fritz Kuhn entschlossen in die falsche Richtung laufen.

Noch sind wir gesamtgesellschaftliche Opposition, auch wenn wir immer mehr an der Verwaltung der „ganzen Scheiße“ beteiligt werden... Wir müssen Opposition als Sammlungsbewegung für ein alternatives Politikprojekt betreiben. Wir brauchen einen offensiven Wettbewerb linker Parteien in dieser Republik. Dann gibt es wieder einen gesellschaftlichen Schub, der zum Ende dieses Jahrhunderts wichtige Fragen von unserer Seite her stellt und der auch grün-rote Antworten wieder glaubwürdig macht.

Nicht nur zu Tschernobyl-Jahrestagen, sondern häufiger und mit mehr PartnerInnen müssen wir reden, arbeiten, agieren und auch wieder auf die Straße gehen. Wie entschieden treten wir dem neoliberalen Aufbruch entgegen? Welche außerparlamentarischen Kontakte können wir unterstützen, ohne daß wir hoffnungslos überfordert sind? Auf welche „kleine“ und „große“ Anfrage können wir verzichten, um aus der parlamentarischen Deckung zu kommen?

Wir sind nicht zur SPD verdammt, sondern zur gesellschaftlichen Veränderung und Kommunikation, die nachweislich feministisch, ökologisch und sozial sein muß. Auch eine hamburgische und saarländische Landespolitik wird das beweisen müssen. Um im Bild zu bleiben: Um stellvertretende Lokomotivführerin zu werden, muß schon vor der Prüfung erkennbar sein, ob man in der Lage ist, Signale zu erkennen. Farbenblinde werden nicht eingestellt. Frieder O. Wolf