Pfeifenbäcker und Knasterköpfe

■ Ein Abfallprodukt vergangener Zeiten feiert wissenschaftliche Auferstehung: die Tonpfeife

Weggeworfen wurden sie wie Kippen und ein starker Raucher brauchte mehrere die Woche, wenn es schlimm kam, gar pro Tag: Die zerbrechliche Tonpfeife war das wesentlichste Rauchutensil vor der Erfindung der Zigarette. Dennoch erscheint ein „Arbeitskreis zur Erforschung der Tonpfeifen“ dem Laien etwas skurril.

Doch dessen Jahrestagung, die mit über vierzig Teilnehmern am letzten Wochenende in Harburg stattfand, ist mehr als ein Weinplausch zwischen spinnerten Spezialwissenschaftlern und raubgrabenden Hobbyarchäologen. Sie dient neben dem Informationsgewinn auch der Werbung für die wissenschaftliche Bedeutsamkeit eines einst alltäglichen Gebrauchsgegenstands. So sind für die Stadtarchäologie die Pfeifenfunde eine der wichtigsten Datierungshilfen für die Jahre 1600-1850 überhaupt. Und auch die Handelsbeziehungen dieser Zeit lassen sich durch die sehr genauen Pfeifenstempel gut verfolgen: Allein aus dem nassauischen Selters im Westerwald gingen Ende des 18. Jahrhunderts 10 Millionen Tonpfeifen pro Jahr zum Export rheinabwärts.

Bisher sind 250 Produktionsorte in Europa bekannt mit oft keineswegs reichen Einzelbetrieben, die mit von weither importiertem Ton arbeiteten. Hamburg war ein Hauptexporthafen, die Ware ging vor allem nach Amerika, in die Heimatländer des Tabaks. Dabei wurden für die Sklaven spezielle „Negerpfeifen“, oft in der Form von Köpfen US-amerikanischer Präsidenten hergestellt.

Technisch gesehen ist zu beklagen, daß sich bis heute kein einziger Pfeifenofen erhalten hat, so daß die groben, aus dem sächsischen Grimma mitgebrachten Ziegelscherben eine nur Uneingeweihten ganz unspektakuläre Sensation darstellten. Fundorte für die Reste der Rauchindustrie sind ehemalige Pfeifenbäckereien, aber auch die Umgebung alter Gasthäuser, wo die billigen Pfeifen nach Gebrauch auf den Boden geworfen und abends vom Wirt in den Müll oder die Kloake gekehrt wurden.

Heute gibt es eine Gruppe Sozialarbeiter aus Berlin, die den Aushub der nach der Wende erneuerten Straßen in Potsdam nach Feierabend erfolgreich durchsiebten. Von der offiziellen Landesarchäologie wird das gerne geduldet, weil sie selbst dem wüsten Vereinigungsgebuddel nun aber auch gar nicht mehr forschend folgen kann.

In Harburg wurden 1979 in der Lämmertwiete hunderte von guten und reichverzierten Pfeifen gefunden, die meisten stammten aus Gouda. Ware von dort galt als die allerbeste, sie wurde aber samt Qualitätsstempel oft gefälscht – Markenpiraterie ist keineswegs ein neues Phänomen. Den Fundrekord hält Stockholm: Ende der achtziger Jahre wurden an einem Ort siebenhunderttausend Stück im Gewicht von sechs Tonnen gefunden – eine kaum lösbare Dokumentationsaufgabe für die schwedische Reichsantiquitätenbehörde, der Verkauf und Verschenken strikt untersagt sind.

Die einzige deutsche von weltweit drei Fachzeitschriften zum Thema wird seit letztem Jahr vom Hamburger Museum für Archäologie und die Geschichte Harburgs, dem Helms-Museum herausgegeben und ist dort auch erhältlich. Vom Stand der Tonpfeifenforschung in der Schweiz bis zu neuen, schon auf 1560 zu datierenden Funden aus Gelsenkirchen bietet die soeben neuerschienene, achte Ausgabe des Knasterkopfs den verschiedensten Gesichtspunkten um die Tonpfeife eine Plattform: einst übersehene Bruchstücke auf dem Weg zum wichtigen Wissenschaftsfach .

Hajo Schiff

„Knasterkopf“-Mitteilungen für Freunde irdener Pfeifen, Verlag Hanusch & Ecker, Höhr-Grenzhausen, 25 Mark, erhältlich im Helms-Museum Harburg