: Das akustische Klima ist vergiftet
■ Umweltbehörde legt „Fluglärmschutzbericht“ vor / Flugunternehmen verstoßen immer dreister gegen Nachtflug-Verbot Von Heike Haarhoff
Da legt selbst Hamburgs Fluglärmschutzbeauftragter Klaus Köhler die Ohren an: Rund um Fuhlsbüttel ist der Flugzeug-Krach im vergangenen Jahr unerträglicher geworden denn je, Besserung nicht in Sicht. Flughafen-Erweiterung, immer dreistere Verstöße gegen das Nachtflugverbot und Protest lärmgestreßter AnwohnerInnen haben das Klima im Hamburger Norden vergiftet. Dröhnung pur verspricht der frische „Fluglärmschutzbericht 1995“ der Umweltbehörde.
Nach jahrelanger Stagnation wurden 1995 erstmals wieder mehr Maschinen abgefertigt: 149.000 Jets, vier Prozent mehr als 1994. Folglich gab es auch mehr Passagiere: 8,2 Millionen Reisende (plus 6,6 Prozent) zählten die Statistiker. „Trotz dieses Zuwachses“, prahlt die Behörde mit der einzig positiven Nachricht, „ist die durchschnittliche Lärmbelastung zurückgegangen.“ Die besonders lauten Flieger wurden weitestgehend gegen leisere ausgewechselt.
Kein Grund zur Freude, sind sich Bürgerinitiativen und Behörde ausnahmsweise einig: Wer nicht ganz nah am Flughafen wohnt, kann sich bei geschlossenen Fenstern immerhin in einer Lautstärke unterhalten, die eine akute Stimmband-Reizung ausschließt. Dennoch empfinden viele Menschen die Dauerbeschallung belastender als zuvor: Die Airbusse machen zwar etwas weniger Krach; faktisch ist die nervliche Strapaze aber größer, weil häufiger gelandet und gestartet wird. Die „Erholungspausen“ würden „immer geringer“; auch komme es gar zu „Störungen mit Unterbrechung der Kommunikationsmöglichkeit“, beschönigt die Umweltbehörde. „Jedes gemütliche Beisammensitzen“, klagt eine Langenhornerin, „gerät zum Geschreie zwischen Schwerhörigen: Zu Spitzenzeiten kracht es hier im 15-Minuten-Takt.“
Um sechs Uhr morgens ist die Nacht gewiß zu Ende. Zu wünschen übrig läßt dagegen die Pünktlichkeit des abendlichen „Zapfenstreichs“: Aus reiner Profitgier versuchen Luftfahrtgesellschaften, die regulären Öffnungszeiten auszutricksen: Allein die Flugbewegungen zwischen 22 und 23 Uhr nahmen zwischen 1994 und 1995 um ein Fünftel zu. Weil die Ankunftszeiten sehr knapp kalkuliert sind, kommt es ständig zu Verspätungen und damit Verstößen gegen das Landeverbot nach 23 Uhr: 1300 Protestschreiben gingen beim Fluglärmschutzbeauftragten ein, 21 Prozent mehr als im Vorjahr.
Besonders unangenehm fiel der Veranstalter Hapag-Lloyd auf: „95 Prozent der Nachtflüge von Hapag Lloyd sind verspätet“, mahnt der Hamburger Rechtsanwalt Claus Schülke, Vertreter der Bundesvereinigung gegen Fluglärm e.V., die Fluglärmschutzkommission zur Tat. Sie müsse solche Zeiten vergeben, die ein pünktliches Ankommen gewährleisteten. Ansonsten führe das Unternehmen „zur Profitmaximierung“ in Hamburg weiterhin „täglich mindestens zwei, im Sommer auch drei Umläufe“ durch, „bei denen von vornherein feststeht, daß der letzte zeitlich bis 23 Uhr gar nicht zu schaffen ist“. Von „nachweisbar unvermeidbarer Verspätung“ könne keine Rede sein. „Mir sind die Hände gebunden“, bedauert Köhler mangelnde Sanktionen: Bis 24 Uhr haben regelmäßige Verkehre eine automatische Verspätungsgenehmigung. Hapag Lloyd verwehrt sich gegen sämtliche Vorwürfe und macht in einem Schreiben vom 22. April an den Umweltsenator technische Mängel, Wettergründe und flughafeninterne Schwierigkeiten verantwortlich für die Verspätungen.
Nach der geplanten Flughafenerweiterung wird alles noch schlimmer, prophezeit der Bericht: Allein die Zahl der gewerblichen Flüge soll bis 2010 um 60 Prozent steigen. Anstatt die Flugbewegungen drastisch zu reduzieren, will der Umweltsenator das Problem nach Parchim auslagern. Auch müsse dringend eine zweite Lärmschutzhalle für Triebwerksstandläufe her. Doch deren Bau wird bekanntlich seit Monaten durch einen Verfahrensstreit verzögert.
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