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Der Jammer der Chefärzte nach ihrem Steuercoup

■ Sonderabschreibungen führen zu leeren Steuerkassen und zu überteuertem Wohnungsbau in Ostdeutschland. Vor allem Bauträger haben davon profitiert

Berlin (taz) – Es sollte sein großes Ding werden: 3,3 Millionen kostete der Gewerbe- und Wohnkomplex in Stahnsdorf bei Berlin. Der Chefarzt hatte sich mit dem Kauf der Superimmobilie eine satte Steuerersparnis errechnet: 700.000 Mark. Doch jetzt möchte der Mann das Teil dringend loswerden. Für 2,8 Millionen steht der Gebäudekomplex in der Zeitung. Niemand hat Interesse. „Ein typischer Fall“, meint Peter Runge vom Steuerberaterverband in Bonn. „Die Anleger schielen wie ein Kaninchen nur auf die Steuerersparnis. Dabei haben sie viel zu teuer gekauft.“

Bei den Sonderabschreibungen für Immobilien im Osten zeigt sich, wohin hohe Steuervergünstigungen am Ende führen: Der Markt im Osten wurde künstlich angeheizt. Die Bauträger kassierten. Bezahlbare Wohnungen für Mieter bleiben nach wie vor Mangelware. Der Abschreibungsneubau im Osten „war vorwiegend teurer Wohnungsbau für das obere Einkommensdrittel“, so Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins.

Auch der Chefarzt hatte anfangs auf die vom Bauträger vorgelegte Rechnung vertraut: abzüglich der Grundstückskosten schlug der Neubau mit 2,8 Millionen Mark zu Buche. Davon lassen sich nach der 50prozentigen Sonderabschreibung für Neubauten im Osten 1,4 Millionen Mark steuerlich absetzen. Bei einem Spitzensteuersatz von über 50 Prozent spart der Chefarzt somit mehr als 700.000 Mark an Steuern. Bei seinem Jahreseinkommen von rund 500.000 Mark verteilt er die Abschreibung auf fünf Jahre und mindert seine Steuerschuld alljährlich um 140.000 Mark.

Das hörte sich gut an, funktionierte aber nicht. Denn erstens führt die Differenz zwischen den jährlichen Mieteinnahmen (125.000 Mark) und Schuldzinsen (230.000 Mark) zu ständigen Verlusten, die zwar selbst wiederum zur Hälfte abgeschrieben werden können, aber am Ende dennoch jährlich 50.000 Mark ausmachen. Und dann läßt der niedrige Wiederverkaufswert des Wohn- und Gewerbekomplexes die Kalkulation endgültig zusammenbrechen.

Von den investierenden Ärzten oder Rechtsanwälten (Szenejargon: „Zahnwälte“) werden noch mehr auf die Nase fallen. „Wenn man die Objekte genauer analysiert, sieht man viele Großprojekte, viele dahingeschluderte lieblose Bauten und viele Gebäude, die ohne Rücksicht auf den zukünftigen Wohnwert erstellt wurden“, bemängelt Erich Gluch in einer Studie des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Allein in diesem Jahr werden im Osten 130.000 Wohnungen fertiggestellt. Die erhofften Mieten von 16, 17 Mark und mehr pro Quadratmeter lassen sich aber beispielsweise im „Speckgürtel“ um Berlin nicht erzielen.

Für die Profite der Bauträger und die Fehlinvestitionen der „Zahnwälte“ müssen letzendlich alle Steuerzahler aufkommen. Nach dem Februarbericht der Deutschen Bundesbank ist das Steueraufkommen durch die starke Inanspruchnahme verschiedener Steuervergünstigungen „vor allem im Rahmen der ostdeutschen Investitionsförderung und für den Wohnungsbau erheblich geschmälert worden“.

Die Ostsonderabschreibung sinkt erst Ende 1996 von 50 auf 25 Prozent. Barbara Dribbusch

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