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Waigel legt sich selbst herein

Theos Wachstumsoptimismus verfälscht die Steuerschätzungen. Die Folge sind Löcher im Haushalt – morgen muß er das nächste verkünden  ■ Von Matthias Urbach

Berlin (taz) – Seit gestern tagt in Potsdam der Arbeitskreis Steuerschätzungen, und sein Ergebnis, soviel steht schon fest, wird Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) erneut einen Schlag versetzen: Dieses Jahr werden weitere 26 Milliarden Mark weniger Steuern eingenommen werden, als bisher veranschlagt. Für nächstes Jahr werden sogar 71 Milliarden im Steuersack von Bund, Ländern und Gemeinden fehlen.

Doch dieses blaue Auge haben sich Waigel und Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) selber zuzuschreiben. Denn ihre bisherigen Einnahmeprognosen beruhen auf zu optimistischen Annahmen. Schon seit Jahren überschätzt die Bundesregierung systematisch das Wachstum, macht mit schönfärberischen Zahlen Politik.

Wenn der Arbeitskreis Steuerschätzungen morgen seine neuen Prognosen bekanntgibt, werden diese Zahlen Grundlage der Haushaltsplanung von Bund, Ländern und Gemeinden für 1997 sein. Zweimal im Jahr tagt das Gremium, im Mai für die Zahlen zum Haushalt des jeweils kommenden Jahres und im Oktober für die „mittelfristige Finanzplanung“ für die nächsten fünf Jahre.

Im Arbeitskreis ballt sich der finanzpolitische Sachverstand. Er besteht aus 27 Teilnehmern: Vertreter der fünf wichtigsten Wirtschaftsinstitute, vom Sachverständigenrat, der Bundesbank, des Bundesfinanz- und des Bundeswirtschaftsministeriums sowie der Länderfinanzministerien, des Städtetages und des Statistischen Bundesamtes.

Die Vertreter des Städtetages und der Länder haben vor allem die Aufgabe, zusätzlich Informationen zu bringen, etwa aus Hessen über die Entwicklung im Bankgewerbe oder aus Baden-Württemberg und Niedersachsen über die der Automobilindustrie.

Die eigentliche Steuerschätzung leisten dann die Wirtschaftsexperten im Arbeitskreis. Als Grundlage der Schätzung dienen die Wirtschaftsdaten, wie das Bruttoinlandsprodukt (die Menge der produzierten Waren und Dienstleistung), die Lohnsumme und die Preisentwicklung (Inflation). Doch genau in diesen sogenannten gesamtwirtschaftlichen Vorgaben der Prognose lag in den letzten Jahren das Problem: Sie werden nicht durch Diskussion im Arbeitskreis ermittelt, sondern von der Bundesregierung bestimmt. So prognostizierte die Regierung für dieses Jahr im Bundeswirtschaftsbericht zunächst ein Wachstum von 1,5 Prozent und mußte sich dann zweimal nach unten korrigieren, zuletzt im April auf „zwischen 0,5 und 1 Prozent“.

Die systematisch überhöhten Steuerschätzungen des Arbeitskreises werden dann zur Grundlage der Haushaltsplanung in Bonn. Ergebnis: klaffende Haushaltslöcher. Schon bei seiner letzten Schätzung im Oktober hatte der Kreis seine Prognosen der Steuereinnahmen für 1996 um 55 Milliarden Mark nach unten korrigiert. Finanzminister Theo Waigel reagierte mit einer Haushaltssperre und forderte ein Sparpaket. Das Paket ist noch nicht mal vom Bundestag verschickt, da wird schon die nächste Korrektur fällig – jetzt fehlen 1996 gut 80 Milliarden. Doch Waigel zieht daraus keine Konsequenzen. Er wirft fröhlich den nächsten Bumerang ins Leere — diesmal mit der Aufschrift „Haushalt 1997“. Diesmal hat er das Wachstum auf 2,5 Prozent geschätzt. „Wir halten maximal 1,2 Prozent für realistisch“, sagt Dieter Vesper vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Auch das DIW sitzt im Arbeitskreis Steuerschätzung. Seine Prognosen lagen in den vergangenen Jahren niedriger als die der anderen Institute und der Regierung und näher an der Wirklichkeit. So prognostizierten das DIW 1,75 Prozent für 1995 gegenüber 2,5 bis 3 Prozent der anderen. Am Ende waren es 1,8.

So ist zu befürchten, daß im Oktober beim nächsten Arbeitskreistreffen die Steuerschätzung 1997 erneut nach unten korrigiert werden müssen. Zu den 71 Milliarden Mark, die schon jetzt in den Haushaltsplänen 1997 fehlen, werden weitere 12 Milliarden dazu kommen, falls das DIW wieder recht behält.

Dabei hätte die Regierung allen Grund, dem Arbeitskreis Steuerschätzungen zurückhaltendere Annahmen vorzugeben. Denn bei der Abschätzung der einzelnen Steuereinnahmen steckt der Teufel im Detail. Die Steuern werden abgeschätzt nach Erfahrungswerten aus der Vergangenheit. Doch die sind wegen der „vielen Steuerrechtsänderungen“, so Vesper, oft nur noch bedingt anwendbar.

Vor allem die Schätzung für die mittelfristige Finanzplanung ist schwierig: Allein in den Jahren 1993 bis 1997 mußten 481 Milliarden Mark Mehreinnahmen und 255 Milliarden Mark Einbußen durch Steuerrechtsänderungen berücksichtigt werden.

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