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Superstars aus der Zentrifuge

Der britische Künstler Damien Hirst, ein Virtuose der Vergänglichkeit, wird neues Modell: Unter dem Titel „Faustrecht der Freiheit“ zeigt der Berliner Herbert Volkmann seine Sammlung mit Kunst der neunziger Jahre in Gera  ■ Von Harald Fricke

Draußen vor der Tür des Museums regelt ein Polizist den Verkehr. Kein Auto darf den Weg hinauf zum Otto-Dix-Haus passieren, wohl wegen der umfänglichen Straßenschäden, die sich überall in Gera finden.

Überhaupt scheint eine merkwürdige Gleichzeitigkeit der Historien und Systeme die Stadt zu beherrschen: Im kurfürstlichen Park steht ein antifaschistisches Denkmal mit frischen Blumen, nebenan hat ein Kleininvestor dem klassizistisch gebauten Drei-Sparten-Theater eine Barracke als Techno-Disco zur Seite gestellt, und in der spätbarocken Orangerie zeigt der Berliner Gemüsegrossist Herbert Volkmann seine Sammlung zeitgenössischer Kunst.

Kein Zweifel, die Geraer sollen gut unterhalten werden: mit den Kuhschädeln von Damien Hirst und Larry Clarks Teen-Sex-Fotos; mit dem aufgespannten „Fuck“- Hemdchen der Britin Sarah Lucas, Raymond Pettibons Zeichnungen über Charles Manson und Elvis oder einem simplen Ei, das die New Yorkerin Andrea Zittel geduldig in einer Box konzeptuell bestrahlen läßt.

Angeregt parlieren zwei ältere Herren über eine Trash-Installation aus Plastikenten und Partynippes von John Miller, die man als Scheitern der Utopien „auch im Westen“ lesen müßte. Anderswo spielen Kinder an einem Schimpansen aus Bronze des Amerikaners Sean Landers herum, der sich auf den dazugehörigen Comicgemälden als Affe, Clown und Butthead parodiert. Man stockt, denkt an Nietzsche und schmunzelt erleichtert.

Im zweiten Flügel des Gebäudes hängen abstrakt und psychedelisch geschichtete Bilder, die der Hamburger Daniel Richter mit Zitaten von Albert Oehlen bis HipHop gespickt hat. Dazu wechseln sich informell gemalte braune Spuren von Michel Majerus und die ineinandergespachtelten Farbklötze Stefan Hirsigs ab.

Das alles beißt sich mit dem graugrünen Teppich – und ein paar verstreuten Skulpturen Franz von Stucks, die zum hauseigenen Bestand gehören. Damit das Ganze nicht zu sehr in fromm bestaunte Kuriosität abdriftet, hat Ulrike Rüdiger, Leiterin der Kunstsammlung Gera, einiges über Radikalität in den Katalog geschrieben: „Es geht um eine Ausdifferenzierung eigener Möglichkeiten und innerer Notwendigkeiten. Es geht um das Parieren kollektiver Erwartungen, die noch immer oder schon wieder an Künstler herangetragen werden und damit um einen tatsächlich von den Künstlern selbst eingeleiteten Paradigmenwechsel in ihrer Rolle und Arbeitsweise.“

Es geht um Einzeller: Statt sich mit Diskursen abzumühen, sind die von Volkmann gesammelten Künstler störrisch, eigenbrötlerisch und weitgehend selbstbezogen. Gavin Turk etwa stilisiert sich auf dem Cover einer fiktiven Zeitschrift als Londoner Superstar mit Frau und Kind, der Kalifornier Matthew Barney zelebriert sich auf „Cremaster 4“ in der Maske eines Modeteufelchens mit künstlichen Schlappohren. Das Foto hängt face to face neben Otto Dix' „Selbstportrait mit Staffelei“, 1926, das vom Leopold-Hoesch- Museum Düren ausgeliehen wurde (und dessen Versicherungswert allein schwerer wiegt als die Kollektion).

Was der Künstler macht, ist Kunst

Dabei symbolisiert dieses Bild gar nicht mal eine Verbeugung vor der Stadt Gera und ihrem berühmten Künstler, der ohnehin in Berlin gelebt hatte. Tatsächlich fühlt sich der Sammler, ebenso wie seine Berater der Gallery of Contemporary Fine Arts, Nicole Hackert und Bruno Brunnet, geistesverwandt mit Dix und seinem Jesuiten- Motto, daß die Mittel egal seien, wenn sie nur zum Ziel führen. Auch der Ausstellungstitel, den Volkmann gewählt hat, kommt ihm da sehr entgegen: „Faustrecht der Freiheit“.

Warum gerade ein Faßbinder- Film als Namensgeber? Für den Sammler, der vor seiner Zeit auf dem Berliner Fruchthof selbst Malerei studierte, ist Kunst seit den sechziger Jahren felderübergreifend Pop geblieben: „Das Image und der Lebensstil des Künstlers wird genauso wichtig wie seine Arbeit, wird zu Kunst. Alles was er oder sie in der Öffentlichkeit tut oder läßt, ist wichtig.“ Daher seine Bewunderung für Faßbinder, der wie Warhol und Beuys stets einen Hof um sich scharen konnte. Anders aber als Peter Ludwig oder Wilhelm Schürmann, der sein Haus bei Aachen systematisch mit Arbeiten von Martin Kippenberger bis Mike Kelley zum Trend- Setzkasten hergerichtet hat, steht Volkmann nicht als Mastermind im Zentrum der Sammlung, sondern beobachtet den Betrieb aus der Ferne und kauft dann still und leise.

Heute verkörpert Damien Hirst für ihn den Typ des Überkünstlers. Der sprunghafte Wechsel der innerhalb von drei Jahren entstandenen Arbeiten zeigt allerdings auch, wie schnell man selbst an der Spitze zwischen Underground und Mainstream treibt. Ein Medizinschrank als Ready-made, der Schädel in der Minimal-artigen Box oder das zentrifugenhaft zusammengemischte Bild – die Vergänglichkeit ist nicht bloß Thema und Ausdrucksform bei Hirst, sondern eine Bedingung der Produktion.

Auch in Landers' Affenkabinett, Tracey Enims Abtreibungsprotokollen oder bei Gavin Turk scheint eine Skepsis mitzuschwingen, dem Popularismus nicht gewachsen zu sein, auf den man baut. Spott, Schock und Glamour sind dann als Reaktion Antrieb und Fluchtbewegung zugleich.

Diese widerstrebenden Kräfte werden in Volkmanns Präsentation noch verstärkt: Neben Pettibons Splatter-Phantasien zum American Psycho hängen Franz Ackermanns nervöse, hingetuschte Reiseskizzen als „Mental Maps“, wo Drachen aus dem Straßennetz aufsteigen; und auf Larry Clarks Blow-Job-Schnappschuß folgt Wolfgang Tillmans' androgynes Pärchen. Dazwischen sind kaum zehn Zentimeter weiße Wand.

Bis 27.5., Kunstsammlung Gera; 22.6. – 15.9., Neues Museum Weserburg Bremen

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