: Politisch Verfolgte genießen Gnade
■ Bundesverfassungsgericht weist Klagen gegen Asylgesetz ab. CDU- und SPD-Politiker zeigen sich zufrieden
Berlin (taz) – „Mit einer sehr heißen Nadel“ sei das neue Asylrecht gestrickt worden, sagte die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts noch vor einem Jahr. Gestern verkündete sie das endgültige Urteil über das neue Asylrecht: Sämtliche Regelungen sind verfassungskonform. Alle drei Säulen der Abschottungspolitik gegen politische Flüchtlinge behalten Bestand: die Drittstaatenregelung, wonach Flüchtlinge, wenn sie aus angrenzenden Ländern kommen, in diese zurückgeschoben werden können, die Regelung über die sicheren Herkunftsstaaten und die Flughafenregelung. Nur hier wurden geringfügige Verbesserungen von den höchsten RichterInnen eingefügt. Flüchtlinge müßten einen Anspruch auf rechtlichen Beistand erhalten und die Rechsmittelfrist verlängert werden. Drei der acht Richter gaben ein Sondervotum ab.
Bundeskanzler Kohl und Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) begrüßten das Urteil – auch als persönlichen Erfolg. Für „sehr ausgewogen“ erachtete auch der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz den Urteilsspruch. Für die Bündnisgrünen kritisierten Kerstin Müller und Jürgen Trittin das Urteil hingegen als „faktische Aushebelung des Grundrechts auf Asyl“. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Claudia Roth, sagte: „Das Grundrecht auf Asyl ist künftig ein Gnadenrecht des Staates.“ Die Drittstaatenregelung, so amnesty international, ist in keinem anderen westeuropäischen Land „so restriktiv wie in Deutschland“.
„Nach dem massiven Druck der letzten Monate auf das höchste deutsche Gericht – bis hin zur Infragestellung seiner Kompetenzen – waren die Erwartungen bereits gedämpft“, sagte der Geschäftsführer des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) Wolfgang Schwerdtfeger. Das Urteil aber habe alle Befürchtungen übertroffen. Das Gericht habe seine Rolle als Hüter von Individualrechten preisgegeben und nicht gesehen, daß die Internierung von Flüchtlingen auf den Flughäfen in die Freiheitsrechte eingreife. Auch die Vertreterin des UN-Flüchtlingshochkommissars (UNHCR) in Deutschland, Judith Kumin, bedauerte die Entscheidung.
Die Jungen Liberalen „respektieren“ das Urteil, äußern aber ihr „Bedauern“. Ziel bleibe, „Korrekturen hin zum alten Artikel 16“ zu bewirken. „Die Staatsräson hat gewonnen“, urteilt die Humanistische Union. „In Deutschland gibt es nur noch wenig Schutz für Asylsuchende. Und nur wenig Menschlichkeit für sie.“ Der Europareferent der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, Herbert Leuninger, sagte der taz: „Die Staatsräson wurde für wichtiger erachtet als der Erhalt des Menschenrechts auf Asyl.“ Gesiegt habe Bundesinnenminister Kanther mit seiner Warnung, daß jede noch so kleine Korrektur am Asylrecht die Diskussion wieder aufbrechen lasse und den inneren Frieden in Gefahr brächte.
Tagesthema Seiten 2 und 3
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen