piwik no script img

„Wir sind doch keine Kontrollettis“

■ Streit um Drogenhilfe-Datenbank: „Gläserner Junkie“ oder Kontrolle Von Silke Mertins

Wieviel Schulden hat der Junkie? Welchen Schulabschluß? Wieviele Vorstrafen und welche? Wird die Sucht finanziert durch Erbschaft, auf Pump oder durch Prostitution? Wieviel Therapien schon abgebrochen? Wie steht's mit HIV-Infektion oder Geschlechtskrankheiten? Ist er oder sie schizophren, neurotisch oder suizidgefährdet?

Die geplante, üppig angelegte Datenerhebung, aus der eine „Basisdokumentation Sucht“ entstehen soll, geht vom Drogenreferat der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) aus. Sie soll tatsächliche Bedarfe, Überschneidungen, Defizite und dergleichen mehr ermitteln. Nach den Vorstellungen des Drogenbeauftragten Horst Bossong soll sie außerdem den Etat der Drogenhilfe gegen Begehrlichkeiten des Finanzsenators Ortwin Runde schützen.

„Wenn wir diesen Katalog abfragen, haben wir bei unseren Klienten absolut verschissen“, empört sich Rainer Schmidt, Geschäftsführer der Drogenhilfeeinrichtung Palette. „Wie leben zum Teil immer noch davon, daß wir anonyme Beratung anbieten.“ Eine so umfangreiche Datensammlung verletze die „informationelle Selbstbestimmung“ der Abhängigen: Es drohe der „Gläserne Junkie“.

„Das ist vollkommener Schwachsinn“, wettert Drogenbeauftragter Bossong, von den ständig nörgelnden freien Trägern Palette und Freiraum habe er wirklich „die Nase voll“. Die Mittel der modernen Informationstechnik zu nutzen sei unverzichtbar, nicht nur, um effizienter zu arbeiten, sondern letztlich auch, um die Qualität der Drogenhilfe zu sichern. „Es geht den Drogeneinrichtungen doch nur darum, unkontrolliert zu bleiben“, so Bossong. Doch bei den erheblichen finanziellen Mitteln, die ihnen zur Verfügung gestellt würden, hätte die Verwaltung ein Recht auf Leistungsnachweis.

Gerade den wollen viele freie Träger aber nicht liefern. Die Befürchtung: Es gehe nicht um eine verbesserte Drogenarbeit, sondern darum, wo man wem mit welcher Begründung am besten die Mittel streichen könne. Die Problemfelder, die die „Basisdokumentation“ angeblich ermitteln solle, „sind alle längst sowas von bekannt“, so Schmidt. „Durch die Verwissenschaftlichung wird das politische Denken kaputtgemacht.“ Mit dem „Datensalat“ könne man in der Szene herzlich wenig anfangen. Bossong kontert: „Wenn die Drogenberatung sich darauf beschränkt, Problemfelder zu definieren, ohne sie abzuarbeiten, ist mir das entschieden zu wenig.“

Auch die datenschutzrechtlichen Bedenken der Träger teilt Bossong nicht. Ein sogenannter „HIV-Code“, der auch bei HIV-Infizierten angewandt würde, garantiere den Schutz personenbezogener Daten. Daß aus dem Code auf den Namen geschlossen werden könne, sei „faktisch abwegig“. Außerdem könne, wer will, auch anonym bleiben. Die Arbeitsgruppe der Behörde habe die Datenerhebung mit dem Datenschutzbeauftragten abgestimmt. Zwischen Datenbank und Behörde sei ein freier Träger geschaltet, der die „Hoheit“ über die Informationen behalte.

„Das Verfahren ist aus meiner Sicht noch nicht abegschlossen“, gibt der zuständige Datenschützer Hans-Joachim Menzel Auskunft. Die Behörde habe ihm aber schriftlich zugesagt, daß die Datenbögen nicht personenbezogen sein werden und weder die Süchtigen, noch der oder die DrogenhelferIn daraus hervorginge. Ansonsten sehe er keine datenschutzrechtlichen Probleme.

„Der Code ist auf jeden Fall zu knacken“, widerspricht Rainer Schmidt. „Die Datenerhebung ist in keiner Weise zielgerichtet, und das ist mit dem Datenschutz nicht zu vereinbaren.“ Außerdem wolle er „dem Staat so wenig persönliche Informationen wie möglich an die Hand geben.“

Die Basisdokumentation soll eigentlich Teil einer Rahmenvereinbarung zur Qualitätssicherung zwischen Behörde und freien Trägern werden. Die Computer mit der Software „Moonlight“ sind bereits gekauft. Doch viele Einrichtungen wollen weder marktwirtschaftliche Kriterien in die Drogenhilfe einführen, noch Datenbanken erstellen. Palette, Freiraum und möglicherweise noch weitere Träger wollen diesen Vertrag nicht unterschreiben. Schmidt: „Wir lassen uns doch nicht zum Kontrolletti machen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen