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Nationalisten sollen Indien regieren

Atal Behari Vajpayee, Führer der hindu-nationalistischen BJP, ist jetzt Indiens neuer Premierminister. Bis Ende Mai muß er sich noch eine Parlamentsmehrheit zusammensuchen  ■ Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly

In einer feierlichen Zeremonie hat Indiens Präsident Shankar Dayal Sharma den Fraktionsführer der nationalistischen „Bharatiya Janata Party“ (BJP), Atal Behari Vajpayee, gestern zum neuen Premierminister vereidigt. Zusammen mit Vajpayee leisteten elf Minister ihren Amtseid, darunter ein Muslim und eine Frau. Bis zum 31. Mai muß sich der neue 70jährige Politiker vom neugewählten indischen Unterhaus das Vertrauen aussprechen lassen.

Damit findet das konfuse Rennen um den Regierungsauftrag sein Ende, das durch das Wahlresultat ausgelöst worden war, in dem alle Parteien weit von einer Mehrheit entfernt blieben. Die BJP hatte als größte Partei (160 Sitze von 537) bereits am letzten Samstag ihren Anspruch zur Regierungsbildung hinterlegt. Mit Vajpayee übernimmt sie zum ersten Mal die Staatsführung.

Die 1981 gegründete Partei krönt damit ein beeindruckendes Wachstum. 1984 hatte sie sich noch mit zwei Parlamentssitzen begnügen müssen; 1989 waren es 85, zwei Jahre später 123, jetzt 160. Aber es war ein Siegeszug mit einer Blutspur. Die BJP verdankt ihren rasanten Aufstieg nicht nur dem Appell an die Werte einer alten Weltkultur. Sie ist auch die Folge einer Haßkampagne gegen Indiens Muslime, die in der Zerstörung der Babar-Moschee in Ayodhya am 6.Dezember 1992, mit über tausend Toten in ihrem Gefolge, ihren Höhepunkt fand.

Die BJP versucht seither wie Lady Macbeth, diesen Fleck von ihren Händen zu waschen. In ihrem Wahlmanifest verpflichtet sie sich „zur sozialen Aussöhnung statt zum sozialen Konflikt“, weil, wie sie mit erstaunlicher Einsicht feststellt, „die Politik von Kaste gegen Kaste, Religion gegen Religion und Klasse gegen Klasse unser gesellschaftliches Gefüge zerstört hat“. Im Gegensatz dazu stützt die BJP ihre Außen- und Sicherheitspolitik auf einem breiteren nationalen Konsens. Ihre Drohung einer Offenlegung von Indiens nuklearem Status ist nur um Schattierungen härter als die bisherige Politik.

Wenn es der BJP gelungen ist, ihr aggressives Image einigermaßen aufzuhellen, verdankt sie dies auch ihrem neuen Regierungschef. Vajpayee ist für viele Inder „der richtige Mann in der falschen Partei“, ein Mann des Konsenses und ein populärer Volksredner, mit einem für seine Partei unüblichen Sinn für Poesie und Humor. Er wird seine Ausstrahlung nun dringend benötigen, will er die Vertrauensabstimmung überleben. Die BJP und ihre Partner verfügen nur über rund 200 Stimmen, was sie von der Unterstützung durch die großen Regionalparteien des Südens abhängig macht. Vajpayees Zuversicht darüber ist Zweckoptimismus, denn inzwischen haben sich die zahlreichen Regional- und Kasten- und Linksparteien mit zusammen 180 Sitzen zusammengerauft, und die unterlegene Kongreßpartei hat versichert, daß sie ihre 136 Stimmen gegen die BJP-Regierung einsetzen werde.

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