: "An uns wenden sich nicht nur Deppen"
■ "Wie bitte?!"-Kämpfer Geert Müller-Gerbes begreift sich als soziales Wesen und begreift nicht, warum alles so ist, wie es ist
taz: Herr Müller-Gerbes, wissen Sie, wie Beamten-Mikado geht?
Geert Müller-Gerbes: Nein.
Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.
Ja.
Kein besonders guter Witz!
Nein.
In den Sketchen Ihrer RTL- Show „Wie bitte?!“ tragen die bespotteten Beamten Brillen, die sie ständig verlieren, essen ohne Unterlaß Butterbrote, haben keine Luste zu arbeiten und schlafen ab und zu sogar ein. Auch nicht so witzig.
Ja, ja, das ist die Handschrift des Regisseurs. Und wenn eine Staffel sich dem Ende zuneigt, ist es auch gut, wenn mal wieder Pause ist.
Das ist nun diplomatisch.
Soll ich etwa sagen: Die Sendung ist eigentlich Scheiße? Das kann ich ja nicht machen. Und das stimmt auch gar nicht. Aber es ist schon so, daß man manches, wäre man entspannter und ausgeruhter, sicherlich weniger verkrampft angehen würde.
Aber auch am Anfang einer Staffel sind diese holzschnittartigen Charaktere Hauptkennzeichen der Sketche.
Muß ja auch.
Und eine sprechende Biotonne muß auch homosexuell sein?
Jaaa, dann sagt der Thomas, wie wäre es, wenn ich es tuntig mache? Und dann sage ich, toll, mach's tuntig! Und dann machen wir's tuntig – Punkt.
Und Ihre Funktion ist es, den seriösen Rahmen zu bewahren?
Richtig, ich bin als Moderator so eine Art Vermittler, der dieses als ein seriöses Unternehmen ausweist. Denn wenn die Schauspieler alleine diese Turnübungen machen würden, dann wären sie ganz possierlich anzusehen – aber unglaubwürdig. Und ich alleine wäre langweilig.
Hinter allem Spaß und aller Zuspitzung steht eine deprimierende Conclusio: Das System ist fehlerhaft ...
Das System ist fehlerhaft. Da können Sie mir sagen, was Sie wollen. Und solche Sendungen sind hilfreich. Die Leute sagen uns immer wieder, daß sie nur mit „Wie bitte?!“ drohen müssen, und schon wird gezahlt. Wenn eine Versicherung sich weigert oder so.
Jesus Müller-Gerbes?
Nein, nicht Jesus, aber erschreckend ist das schon.
Also machen Sie Ihren Job gar nicht gerne?
Doch, das macht mir schon Spaß. Ich finde auch Fernsehen ein sehr wohl faszinierendes Medium, aber über diese Funktionen bin ich sehr nachdenklich geworden.
Waren Sie früher Pfadfinder?
Nein, und die tägliche gute Tat ist ein Gebot der Menschlichkeit: daß man sich nicht als Einzelperson, sondern als soziales Wesen begreift. Es ist ein ganz christlicher Anspruch, das zu tun. Punkt.
Das klingt edel.
Ich bin kein gütiger Mensch, das ist was ganz anderes. Ich finde, Solidarität, das muß man machen, da kann man nicht nur drüber reden, das gehört sich so. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Oder man macht eine Sendung draus, aus dem Gutes-Tun.
Ich bin kein Freund der großen Worte.
Eher schon der kleinen Leute?
Ja, aber daß da kein falscher Eindruck entsteht: An uns wenden sich nicht nur die Deppen, das geht quer durch.
Wie haben Sie 1968 miterlebt?
Schon sehr hautnah. Ich habe an der ersten Demonstration gegen den Vietnamkrieg teilgenommen, die nicht den vorgeschriebenen Weg gegangen ist und die in Berlin auf dem Wittenbergplatz einen Redner namens Rudi Dutschke hervorbrachte. Das waren unglaublich aufregende Zeiten. Das erste Sit-in, das war schon toll.
Daher also rührt Ihr Aufmüpfigkeitspotential?
Ich bin ja deshalb nach Berlin gegangen. Mein erster Leitartikel im Tagesspiegel war zur Abwahl von Eberhard Dipegen als Asta- Vorsitzenden.
Haben Sie mal für Springer gearbeitet?
Nee, bis heute nicht. Das würde ich auch nie tun.
Die legendäre Serie „Bild kämpft für Sie!“ funktionierte so ähnlich wie Ihre Sendung „Wir kämpfen für Sie!“
Unsere sechs Folgen „Wir kämpfen für Sie!“ hat RTL in Zusammenarbeit mit den Kirchen gemacht, weil die einen theoretischen Sendeanspruch von 45 Minuten pro Woche haben, den sie natürlich nicht dadurch füllen können, daß sie das Neue Testament im schwarzen Anzug zur Vorlesung bringen. Also haben wir das mal so probiert, mit einer so hohen Einschaltquote, die zeigt: Es gibt einen wirklichen Bedarf an... ja, Hilfe, dieses Wort ist so merkwürdig besetzt. Wir sind ja keine gütigen Menschen ...
Das sagen Sie nun schon zum zweiten Mal.
Weil es ja auch so ist, das ist ja kein Almosen. Da haben die Leute einen Anspruch drauf, und der wird nicht befriedigt. Und sie wenden sich an uns und sagen: „Leute, ihr seid unsere letzte Rettung.“ Sie werden beschissen und betrogen von allen möglichen Stellen, sie werden nicht ernst genommen von dem, was ihnen gegenübersteht als verwischte Verantwortung, die nicht mehr greifbar ist. Manche Leute sind aber auch wirklich Dussel, die fallen auf irgendwas rein und stehen auf einmal da und kommen da nicht raus. Und es ist halt nicht so einfach, weil die Strukturen nicht mehr so funktionieren.
Ich glaube, daß „Wie bitte?!“ die Verschnarchtheit nur noch fördert: Am Samstagabend werden die Beamten, mit denen wir uns ab Montag dann wieder herumplagen müssen, mal so richtig schön durch den Kakao gezogen. Haha! Das bleibt doch folgenlos.
Nein, wenn es gelänge, den Leuten klarzumachen: Ihr braucht euch nicht alles gefallen zu lassen. Wir haben hier die Perversion dessen, was Friedrich der Große mal als Beamten definiert hat: daß die Leute von ihm alimentiert werden, damit sie sich unabhängig im Sinne der Bürger verhalten. Und das ist heute völlig pervers: Nein, das kann ich nicht bearbeiten, ich bin Hoheitsträger – lauter so'n Scheißdreck. Kucken Sie sich doch die Sprache an, die diese Leute sprechen!
Haben Sie da ein besonders schönes Beispiel parat?
Also die Definition eines Postbeutels, ein Postsackversand... warten Sie mal, hier habe ich... wo ist denn die Hackfleischverordnung... irgendwo müßte ich noch die Definition eines Traktorsitzes haben, der von der Europäischen Kommission genau festgelegt ist. Wenn Sie wollen, kann ich es raussuchen ...
Gerne. Aber, pardon, ist darüber sich zu amüsieren nicht eher das kleine Glück anstelle des ohnehin nicht erreichbaren großen?
Kann auch (sucht emsig)... Ah, hier haben wir es doch. Also, das ist jetzt die Bestimmung des Sitzes eines Treckers: „Der Sitzbezugspunkt ist der auf der Längsmittelebene des Sitzes gelegene Schnittpunkt zwischen der tangential zum unteren Teil der gepolsterten Rückenlehne verlaufenden Ebene und einer horizontalen Ebene. Diese horizontale Ebene schneidet die untere Fläche der Sitzplatte des Sitzes 150 Millimeter vor dem Sitzbezugspunkt (S).“ Und das meinen die ja ernst.
Wie würden Sie das ausdrücken?
Jeder Trecker muß einen Sitz haben.
Na gut, Sie dokumentieren den Irrsinn. Und sonst?
Und zweitens können und sollen die Leute darüber auch lachen.
Darum geht es?
Ja. Ich gebe Ihnen diese Zettel mal mit.
Wozu? Entschuldigen Sie, aber hier erschöpft sich die Kritik doch in einer Zusammenstellung von Skurrilitäten und grotesken Einzelfällen ...
Warum eigentlich nicht? Warum denn eigentlich nicht?
Die große Welt ist so böse und unveränderbar, aber der Butterbrot essende Beamte, der drei Arbeitsausschüsse über Treckersitze nachdenkt, der ist greibar, faßbar, belächelbar. Das ist doch zuwenig für eine Revolution, verhindert sie sogar!
Aha, Sie vermissen die sogenannte Nutzanwendung, was lernt uns das?
Wir lernen: Die sind doof und machen uns das Leben schwer.
Nicht nur doof, sondern auch bescheuert.
Gut, bescheuert.
Aber das reicht ja noch nicht.
Nein. Sie machen Fernsehen über die privaten Sorgen und Problemchen der Bürger. Aber der Privatmann Müller-Gerbes geht keinen was an. Ich durfte Sie zum Interview nicht zu Hause besuchen.
Nein. Das ist meine private Sache.
Und wenn Sie mal Probleme mit dem Nachbarn haben? Wenden Sie sich dann ans Fernsehen?
Nein, dann regele ich das mit meinem Nachbarn.
Und wenn der Ihnen dumm kommt?
Das macht er nicht. Ich komme ihm ja auch nicht dumm. Ich hatte noch nie Probleme mit meinem Nachbarn. Das ist aber nicht überall so. Interview:
Benjamin v. Stuckrad-Barre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen