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Gefangene des falschen Lebens

■ Morgen in der Stadtwaage: Christoph Hein, mit „Drachenblut“ in Ost und West bekanntgeworden, liest aus seinem Werk

„Alles, was ich erreichen konnte, habe ich erreicht. Ich wüßte nichts, was mir fehlt. Ich habe es geschafft. Mir geht es gut.“ Derart lakonisch und – wegen des trügerisch beharrlich geschilderten Glücksempfindens – doppelt resignativ, endet Christoph Heins Novelle „Drachenblut“ aus dem Jahre 1982. Christoph Hein, Schriftsteller und Dramatiker vom Range eines Heiner Müllers oder Volker Brauns, hat sich mit „Drachenblut“ (in der DDR als „Der fremde Freund“ erschienen), „Horns Ende“ und dem „Tangospieler“ an mehreren Jahrzehnten DDR-Geschichte abgearbeitet. Hein liest morgen um 20 Uhr in der Stadtwaage aus „Exekution eines Kalbes“, seinem Erzählungsband von 1994. Einführende und sicherlich kenntnisreiche Worte kommen von Wolfgang Emmerich, Germanist an der Uni Bremen.

Christoph Heins Protagonisten, etwa die erfolgreiche Ärztin Claudia in „Drachenblut“, handeln zumeist geprägt von „pragmatischem Nihilismus“. So nennt es Emmerich in seinem bescheiden „Kleine Literaturgeschichte der DDR 1945-1995“ genannten Werk. Pragmatischer Nihilismus nämlich als Reaktion auf die Zwänge eines Systems, dessen Teilnehmer an der „Armut der Subjektlosigkeit“ leiden. Claudia, nach außen „perfekt gepanzert“ (Emmerich), kann sich erst dann aus ihrem hermetisch gegen emotionale Unwägbarkeiten abgeschotteten Leben lösen, als sie den „fremden Freund“ kennenlernt. Doch als er zu Tode kommt, bringt sie der Ballast des rhythmisierten Alltags wieder zurück auf ihre geregelte Umlaufbahn: „Mir geht es gut.“

Hein, Jahrgang '44, Pfarrerssohn aus dem schlesischen Heinzendorf, Kindheit in einer sächsischen Kleinstadt, besuchte 1958-61 das Gymnasium in West-Berlin; der Besuch einer Oberschule in der DDR war ihm aufgrund seiner Herkunft verwehrt. Nach dem Mauerbau entschied er sich, in die DDR zurückzugehen, machte dort 1964 doch noch das Abitur nach und studierte 1967-71 Philosophie und Logik in Berlin und Leipzig. Hein arbeitete dann als Dramaturg und Autor für die Berliner Volksbühne. Die „scheinbare Widerspruchsfreiheit, die Glätte der kalten Oberflächenschilderung“, so Wolfgang Emmerich, „fordere den Widerspruch des Lesers heraus“. Viele LeserInnen konnten Heins Texte gar nicht „als DDR-Literatur identifizieren“, schreibt er – zum Verwechseln ähnlich mit bundesdeutschen Zuständen sei das ansonsten so exotische deutsche Nachbarland beschrieben.

Nicht zuletzt wohl ein Ergebnis Heins „Doppelsozialisation“ (Emmerich) in Ost wie West. Christoph Heins stilistische Nüchternheit, sein scheinbar kunstloser Berichtston hat nicht nur den Vorzug, dem Leser verbrämendes narratives Beiwerk zu ersparen. Nachhaltig irritierend bei der Lektüre von „Drachenblut“ bis „Exekution eines Kalbes“: Heins Absicht, „an geschichtlichen Modellen ihr Gültiges vorzuführen“ kommt auf dichterischen Schleichwegen daher. Die sind beim Zurückblättern immer schon wieder verwischt. Auch für die Zensur, die in der DDR offiziell nie existierte, sondern sich in DDR-üblicher Tarn-Terminologie „Druckgenehmigungspraxis“ schimpfte. „Bei uns gibt es sie nur kraft des Bewußtseins“, zitiert Emmerich Erich Honecker in seiner Literaturgeschichte. Und er zitiert Christoph Hein: „Zensur ist nutzlos, paradox, überlebt und verfassungswidrig.“

Alexander Musik

Dienstag, 20 Uhr, Stadtwaage, Langenstr. 13

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