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Jäger verlorener Perspektiven

Der Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen kritisiert Nachhaltigkeit und sucht erfolglos nach Alternativen  ■ Aus Heidelberg Nicola Liebert

Entwicklung ist out, Abwicklung ist in. Gemeint ist die Abwicklung des Nordens. Mit diesem Konzept will die Arbeitsgruppe, die den Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (Buko) vorbereitet hatte, den derzeit populären Vorschlägen für eine nachhaltige Entwicklung entgegentreten. Das Leitbild nachhaltiger Entwicklung, da ist man sich beim Buko weitgehend einig, blende soziale Spaltungen und gesellschaftliche Machtverhältnisse aus und trage durch eine Modernisierung des Kapitalismus zur Sicherung von Herrschaft bei. Das Motto des 20. Buko, der bis gestern in Heidelberg tagte, lautete dementsprechend: „Herrschende Nachhaltigkeit – nachhaltige Herrschaft“.

Aber was soll man dagegensetzen? Das bekamen die etwa 250 KongreßteilnehmerInnen zur Einführung anhand des „Froschmastdilemmas“ erklärt. Frösche – sie stehen für kleine ökologische Verbesserungen – sind eine beliebte Mahlzeit für Schlangen – das kapitalistische System. Frösche mühsam zu züchten, die sogleich von den Schlangen gefressen werden, ist also sinnlos. Keine Frösche zu züchten ist aber auch keine Lösung, weil man so ebenfalls nicht an die begehrten Froschschenkel herankommt.

Um diesem Dilemma zu entgehen, gibt es verschiedene Ansätze. Die neoliberale Antwort lautet: Da Schlangen Frösche mögen, werden sie sich schon darum kümmern, daß es immer Frösche gibt. Also muß man die Schlangen stärken. Dagegen stellen sich BUND und Misereor mit ihrer Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“. Derzufolge gibt es eigentlich gar keine Schlangen. Jeder kleine ökologische Beitrag bringt uns einer glänzenden Froschzukunft näher. Und wenn doch mal eine Schlange auftaucht, gilt es eben, sie von den Vorteilen einer Diät zu überzeugen.

Kritischer ist da schon der linke Ansatz: Man muß den Kampf mit den Schlangen aufnehmen, um Frösche züchten zu können. Und schließlich ist da die Antwort der Buko-AktivistInnen: Wer Frösche mästet, braucht sich über die Schlangen nicht zu wundern. Also: keine Frösche – keine Schlangen.

In einem Diskussionspapier mit dem bescheidenen Titel „Bausteine für Perspektiven“ versuchten die KritikerInnen der Nachhaltigkeitsstudie „Zukunftsfähiges Deutschland“ zu umreißen, wie den Schlangen der Garaus zu machen ist. Denn die Widersprüche der Nachhaltigkeitsdebatte aufzuzeigen führt nicht weiter, solange die Kritik nicht zu alternativen Handlungsorientierungen führt, so die Einsicht der Buko-Leute. Allerdings warnt schon der Vorbereitungsreader, „daß es uns nicht unbedingt um Konstruktivität, vielmehr eher um Dekonstruktion der bestehenden Strukturen geht“.

Die mitunter verzweifelt wirkende Suche nach den konkreten Handlungsperspektiven dominierte sämtliche Diskussionen während des viertägigen Kongresses. Ausgangspunkt war die Kritik am enthemmten Freihandel zwischen ungleichen Handelspartnern. Der grenzenlose Weltmarkt führe zu Standortkonkurrenz und Sozialabbau. Der globale Sektor müsse also zurückgedrängt werden, folgern die AutorInnen des Perspektiven-Papiers, etwa durch Widerstand à la Anti-AKW-Bewegung. Sogenannte postmoderne Aufstände – vom mexikanischen Chiapas über das nigerianische Ogoniland bis zu den Streikenden in Frankreich – unterstützen die Abwicklung.

Zugleich sollen lokale und regionale Wirtschaftskreisläufe aufgebaut werden – zum Beispiel durch Tauschringe und die Aneignung von Räumen und Flächen in Stadt und Land, um sie kollektiv zu nutzen. Das Schöne dabei: „Konsumverzicht und individuelle Öko- Moral spielen bei der Abwicklung keine große Rolle.“ Hieran schieden sich jedoch die Geister, wie überhaupt das Papier auf viel Kritik stieß.

„Es geht gar nicht mehr um Entwicklungspolitik, sondern nur noch um das Erlangen herrschaftsfreier Räume für uns“, ereiferte sich ein Kongreßteilnehmer. „Die tun ja so, als hätte es die Erfahrungen der letzten 20 Jahre gar nicht gegeben“, kritisierte eine andere angesichts der immer wieder geäußerten Hoffnung auf kollektives Arbeiten und die Produktion in Landkommunen.

Vor allem die MitarbeiterInnen der Eine-Welt-Läden, die etwa ein Drittel der 200 Buko-Mitgliedsgruppen ausmachen, lehnten die vorgeschlagenen Ansätze einer alternativen Politik rundheraus ab. Weit davon entfernt, den Welthandel abzuschaffen, bemühen sie sich schließlich ganz praktisch um fairen Handel mit den Ländern des Südens. Der schon seit Jahren im Buko schwelende Konflikt zwischen den traditionellen AnalytikerInnen, die sich kritisch mit Fragen wie Standortpolitik oder Sozialklauseln im Welthandel auseinandersetzen, und einer neuen Generation, die vor allem in den eigenen Lebenszusammenhängen etwas verändern will, zeigte sich in aller Klarheit.

Auf dem Schlußplenum verwarfen die PragmatikerInnen das Perspektiven-Papier. Fundiert war die Kritik an der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“, fundiert war auch die Kritik an den „Bausteinen für Perspektiven“. Doch als am Ende die Frage wiederholt wurde, was man denn nun der Nachhaltigkeitsdebatte entgegensetzen wolle, herrschte nur noch betretenes Schweigen.

Nun will man sich nächstes Jahr damit befassen, wie eine Gegenmacht von unten konkret aufgebaut werden kann – von wem gegen wen, das wurde allerdings nicht mehr thematisiert.

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