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Klarer Fall von Torywahn

■ BSE und Europa – London verliert den Überblick

Die britische Wirtschaft hängt vom Export von Gelatine ab. Diesen Eindruck muß man gewinnen, wenn man das Wutgeheul im Londoner Unterhaus hört, nachdem die Europäische Union die Aufhebung des Exportverbots für Gelatine, Rindertalg und Samen erneut abgelehnt hat. Warum hätte sie es auch aufheben sollen? Seit die britische Regierung im März eingeräumt hat, daß zwischen dem Rinderwahnsinn BSE und der beim Menschen auftretenden Creutzfeldt-Jakob- Krankheit ein Zusammenhang besteht, hat sich nichts getan. Noch immer sterben jede Woche rund 250 Rinder an der Krankheit, und noch immer ist die Möglichkeit einer Übertragung auf den Menschen nicht widerlegt.

Die Kühe sind nur noch politische Verhandlungsmasse. Landwirtschaftsminister Douglas Hogg meint, mit einem kleinen Blutbad unter Britanniens Rindern sei die Sache aus der Welt zu schaffen. Erst sollte es 42.000 Tiere treffen. Weil die „German hardliners“ damit nicht zufrieden waren, bietet Hogg nun 80.000 tote Rinder an. Für eine kleine Exporterlaubnis legt er sicher noch ein paar tausend drauf. Ein klarer Fall von Torywahn: In seinem Blutrausch merkt Hogg gar nicht, daß er sein eigenes Geschwätz ad absurdum führt. Wenn es vor kurzem hieß, 42.000 Rinder seien genug, um BSE zu besiegen, warum dann die Zugabe?

Hogg kapiert nicht, daß er und seinesgleichen das Problem sind. Ebensowenig wie jemand nach Watergate einen Gebrauchtwagen von Richard Nixon gekauft hätte, würde man sich jetzt von einem britischen Kabinettsmitglied einen Hamburger auf den Teller legen lassen – auch wenn noch so viele Tories zum Schau-Essen mit Roastbeef antreten. Oder gerade deshalb. Bei einer Umfrage waren jetzt 70 Prozent der Meinung, daß die britische Regierung Informationen über das BSE-Risiko verheimlicht hat. Wohl wahr: Bereits 1980 haben staatliche Wissenschaftler gewarnt, daß die Umstellung des Produktionsverfahrens von Tierkörpermehl unabsehbare Folgen haben könnte. Aber auch auf anderen Gebieten ist es um die Glaubwürdigkeit der Tory-Führung schlecht bestellt: „Justizirrtümer“, Wahlkreismanipulationen, dunkle Waffendeals, Parteispendenaffären. Die britische Regierung lügt, wenn einer aus der Herde nur das Maul aufmacht. Ralf Sotscheck, Dublin

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