: Aufenthalt nach Tastendruck
15 selbstorganisierte Konzerte im Jahr, nebenbei Musikunterricht – der Berliner Pianist Pantcho Vladiguerov lebt nicht auf Rosen gebettet. Dabei fehlt es am Talent gewiß nicht ■ Von Kolja Mensing
Gibt es ein größeres Hindernis für einen Künstler als einen berühmten Vorfahren? Die Kinder Thomas Manns, der Wagner- Sproß Siegfried oder Franz Xaver Mozart – alles Vorzeigebeispiele für die Tragik der kreativen Nachgeborenen. Pantcho Vladiguerov, 43 Jahre alt, ist Pianist und teilt sich mit seinem Großvater, einem bedeutenden bulgarischen Komponisten, nicht nur die musikalische Besessenheit, sondern auch gleich noch Vor- und Nachnamen.
Tragisch findet er seine Rolle als Großkünstler-Enkel allerdings nicht, und wenn er ein Konzert gibt, gehört Pantcho Vladiguerov sr. selbstverständlich mit zum Programm: „Er hat früher, als ich ein Kind war und anfing, Klavier zu spielen, viel zusammen mit mir Musik gehört – ich denke, daß ich ihn über diese persönliche Beziehung als Komponisten sehr gut verstehe.“ Auch auf seiner ersten CD, „Piano Recital“, die soeben erschienen ist, spielt der Berliner Pianist zwei Stücke vom Opa – im Anschluß an einen highlightorientierten Durchgang durch die Musikgeschichte von Bach bis Rachmaninow.
Wenn Pantcho jr. in seinem altmodisch eingerichteten Wohnzimmer in Schöneberg sitzt und in den vergilbten Plattenhüllen wühlt, auf denen in kyrillischen Buchstaben die Titel seines Großvaters stehen, scheint er sich ein wenig in die Belle Époque der modernen Musik zurückzuwünschen: Vladiguerov sr. hatte die zwanziger Jahre in Berlin verbracht, als Theaterkomponist für Max Reinhardt gearbeitet, die geistige Elite seiner Zeit – zum Beispiel Einstein und Freud – getroffen, mit Schostakowitsch und Rachmaninov im künstlerischen Austausch gestanden. Alles sah nach Aufbruch aus, die Moderne erschien als erfolgreiches Experiment.
Doch die Rahmenbedingungen änderten sich. Vladiguerov, der jüdischer Abstammung war, verließ Deutschland 1932, ein Jahr vor Hitlers Machtergreifung, und ging zurück nach Bulgarien. Er lebte in Sofia und arbeitete sich in den Rang eines „bulgarischen Nationalkomponisten“ vor – unter anderem, weil es ihm gelang, die ungeraden und schrägen Rhythmen der Volksmusik seines Heimatlandes in seine Werke einzubauen. So etwas kam gut an, und Vladiguerov hatte zu Zeiten der Monarchie und – seit 1944 – unter dem kommunistischen Regime gleichermaßen eine gute Position.
Enkel Pantcho hatte es mit den ideologischen Barrieren nicht so leicht. Er siedelte mit seinen Eltern 1967 von Sofia nach Ost-Berlin über – der Vater war Dirigent, die Mutter Sängerin, und in der DDR gab es für Musiker bessere Arbeitsmöglichkeiten. Pantcho begann seine musikalische Laufbahn auf der nach Franz Liszt benannten „Spezialschule für Musik“ in Weimar, um danach immer wieder zwischen Bulgarien und der DDR hin- und herzuwechseln.
„Den Großteil meines Musikstudiums habe ich aber in der DDR absolviert, was im Hinblick auf eine spätere künstlerische Betätigung nicht immer einfach war“, erklärt Pantcho Vladiguerov. „In Ostdeutschland konnte man eigentlich nur Musikpädagogik studieren und nicht auf das Ziel hinarbeiten, einmal als Konzertpianist zu arbeiten. Und das wollte ich eigentlich.“
Nachdem er in Sofia von 1980 bis 1982 eine Meisterklasse für Pianisten besucht hatte, stellte sich die Frage, wie sich das offensichtlich vorhandene Talent in Geld verwandeln sollte. Die staatliche Musikvermittlung in Bulgarien teilte dem jungen Klavierspieler mit, daß sie keine Verwendung für ihn habe. „Ich habe mich dann bei der Deutschen Oper in West-Berlin um eine Repetitorstelle beworben, von der Freunde mir berichtet hatten“, erzählt Pantcho Vladiguerov. Doch das schien seinem Staat nicht recht zu passen: Die bulgarischen Behörden verhinderten, daß der Pianist den Job bekam.
Seit 1985 kündigte sich auch in Bulgarien die Gorbatschow- Wende an: Es gab Reiseerleichterungen, und Pantcho Vladiguerov setzte sich in den Westen ab. Seine Begabung verschaffte ihm einen praktischen Nutzen: Der Pianist, der ohne Aufenthaltsgenehmigung in West-Berlin lebte, konnte bei einem Konzert einige anwesende Politiker mit seinem Klavierspiel so beeindrucken, daß er innerhalb kürzester Zeit und ohne lange bürokratische Kämpfe deutscher Staatsbürger wurde.
Pantcho Vladiguerov gibt im Jahr etwa 15 Konzerte. Seine Auftritte organisiert er selbst: „Am Anfang hatte ich mich bei zwei Agenturen gemeldet, aber da wird man schnell zur Karteileiche. Jetzt knüpfe ich über Bekannte Kontakte zu Veranstaltern – das funktioniert auch.“ Bei Gagen um die 1.000 Mark pro Abend kann Pantcho Vladiguerov nicht allein von den Auftritten leben: Wie viele Kollegen verdient er sich seinen Lebensunterhalt als Musikschullehrer.
Auch mit Platten läßt sich nicht das große Geld verdienen: Im Gegensatz zum Popgeschäft bringt klassische Musik kaum etwas ein. Allerdings ist die nächste CD schon in Vorbereitung: „Vladiguerov spielt Vladiguerov“. Und da denkt Pantcho jr. nicht nur in sentimentalen Familienbanden: „Der Großvater war in ganz Osteuropa bekannt. Hier kennt ihn niemand, man kann keine Aufnahme von ihm kaufen – das könnte sich durchaus als Marktlücke erweisen.
Pantcho Vladiguerov, „Piano Recital“ (Bella Musica)
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