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Unter dem Kirschmund

Domina, Schulmädchen, Angela Davis, Carmen Jones: Spike Lees „Girl 6“ wirkt wie eine CD-ROM schwarzer Frauenrollen  ■ Von Mariam Niroumand

Als Spike Lee vor einigen Jahren das erste Mal mit seinem Film „Jungle Fever“ in Cannes auftrat und gegen die Coen-Brüder mit ihrem „Barton Fink“ unterlag, erklärte er der neugierigen Presse: „We was robbed“ – damit einen rassistischen Skandal andeutend, von dem alle wußten, daß es ihn nicht gab. Vorsichtshalber ließ er diesmal seinen Film „Girl 6“ gar nicht erst im Wettbewerb des Filmfests laufen (bei dem übrigens wieder die Coens prämiert wurden), und die etwas ratlosen Reaktionen scheinen ihm recht zu geben.

Dabei kann man über „Girl 6“ und seinen Regisseur alles mögliche sagen, aber nicht, daß sie berechenbar sind. Spike Lee hat Highschool-Kino („School Daze“), brechtsche Lehrstücke („Do the Right Thing“), Musicals („Mo Better Blues“), mittelalterliche Morality-Plays („Jungle Fever“) oder Frauenfilme („She's Gotta Have It“, „Crooklyn“) gemacht, und war immer dann am besten, wenn er das eigene Milieu in Unruhe versetzte.

„Girl 6“ wirft vielleicht mehr Bälle in die Luft, als er dann schließlich jonglieren kann, aber auch dieser Film ist alles andere als langweilig. „Erzählt“ wird die Geschichte eines umwerfend aparten Mädchens, genannt Girl 6, gespielt von Theresa Randle, die mit ihren schauspielerischen Ambitionen zunächst mal beim „heißesten Regisseur Hollywoods“ landet, der niemand anders ist als „Q. T.“, Quentin Tarantino.

In seiner bislang schuftigsten Performance erklärt er Girl 6, er wolle den Film „aus der Perspektive einer Afroamerikanerin“ drehen, und dafür ist es selbstverständlich notwendig, daß Randle sich frei macht. Der ganze Sinn dieser Eingangsszene besteht darin, daß Randle endlich ihr Top fallen läßt („mit beeindruckendem Ergebnis“, wie Jim Hoberman in der Village Voice feststellte) – womit Lee, wie man dort drüben sagt, seinen Kuchen behält und ihn gleichzeitig essen kann. Der „Exploitation“-Effekt fällt auf den weißen Filmemacher zurück, und das Vergnügen ist trotzdem unseres. Vom schäbigen Tarantino läuft das verärgerte Girl 6 zu ihrem noch schäbigeren Agenten Murray (gespielt von John Turturro, den auch die Coens immer wieder gern beschäftigen). „Du hast Q. T. einen Korb gegeben?! Bist du wahnsinnig? Er ist Hollywoods gefragteste Nummer!!“

Nachdem solchermaßen geklärt ist, wer noch ein Anrecht auf den Titel „Hollywood-Stänkerer“ hat und wer nicht, wird die Sache fallengelassen und der Film springt ins 19. Jahrhundert, zurück zum Roman aus der Sparte „gefallenes Mädchen“, Unschuld vom Lande, Sister Carrie. Man sieht Girl 6 beim Gemüsehändler mit Papayas und Auberginen hantieren, bevor sie dann nach einer Vielzahl kleinerer Jobs beim Telefonsex landet.

Ich habe das Kino der Zukunft gesehen, und es ist eine CD-ROM: Im Mausklick-Tempo changiert Theresa Randle nun von Angela Davis zum blonden Schulmädchen, von der braven Hausfrau zur erzürnten Carmen, von der Foxy- Lady zum Teenager in der Familien-Sitcom (übrigens mit Spike Lee in einem absurd komischen Auftritt als glatzköpfiger, zu Wut- und Tanzausbrüchen neigender Paterfamilias) oder zur Gangsterbraut, je nachdem, als was Arbeitgeber und Kunden sie zu sehen wünschen. Das Bravouröse besteht darin, daß Randle im selben Tempo auch den jeweils gefragten Code mitproduziert, und man auf diese Weise einfach eine kleine Enzyklopädie der für junge schwarze Frauen greifbaren Rollenmodelle vorgeführt bekommt.

Die Rollen, in die sie beim Telefonsex schlüpfen muß, müssen einstweilen zur Befriedigung ihrer schauspielerischen Ambitionen reichen. Bei dem kleinen Ausbildungslehrgang in einem riesigen, hellen New Yorker Bürogebäude – eine ziemlich lustige, an die Führerschein-Theoriestunden erinnernde Angelegenheit – trainieren die Mädchen die verschiedenen Rollen, konstruieren sich Identitäten. Sie müssen sich den Klienten am Telefon ja immer selbst beschreiben. „Ihr seid selbstverständlich weiß“, erklärt die Leiterin, „es sei denn, jemand verlangt explizit etwas anderes.“

Alle Mädchen bekommen Nummern. Ihre Kunden sind selbstverständlich auch meistens weiß und turnen sich an, indem sie mit Girl 6 über ihre sterbende Mutter, über Randels Stiefel, über Kochrezepte, über Büro-Formalitäten und so weiter reden, denn anders können sie nicht mehr.

Alle Männer sind mit HDTV- Video gefilmt, wodurch sie schärfer kontrastiert und leichter ins Groteske gezerrt werden können; die Frauen hingegen sind in 35 mm gefilmt, wirken also größer, ruhiger, mächtiger.

Girl 6 erreicht hausinterne Berühmtheit für ihr Method Acting als Domina, Schlampe, Schulmädchen oder Sklavin. Nur ihr Nachbar, ein komischer Baseball-Freak (Spike Lee), der seit Jahren nichts anderes tut, als mit seinen Autogrammen und signierten Schlägern zu handeln, fragt ab und zu ohne allzu großes Engagement: „Wie lange willst du das noch machen, diesen Telefonsex-Kram? Kann man damit berühmt werden?“

Immer wieder erstaunlich ist, wen der Regisseur so alles für seine Lehrstücke gewinnen kann. Spike Lee ruft, and the belles start ringing: Madonna hat einen in Kühlschrank-Blautönen gehaltenen Auftritt als High-Tech-Puffmutter, Naomi Campbell teilt sich einen Crack-Joint mit Girl 6, Halle Berry schnauzt einen imaginären Klienten zusammen, „du Sau, läßt du schon wieder deinen Schwanz tropfen!“. Ab und an taucht Isaiah Washington etwas hölzern als Ex- Mann im Leben der Einsamen auf, der die Klienten langsam nicht nur virtuell nachzusteigen beginnen.

Nachdem sich der Film also eine zeitlang selbst gefeiert hat, ähnelt er nun für eine Weile Polanskis „Ekel“: Girl 6 verkommt in ihrer Wohnung und nähert sich dem Wahn. Dazu wird, als reichte das allein nicht, ein Fernsehbericht über ein kleines Mädchen aus der Bronx eingeblendet, das in einen Fahrstuhlschacht gefallen ist. Wieder und wieder stürzt die Kamera ins Dunkle hinab; man denkt an Hitchcocks Bemerkung, „wenn ich gerne Züge in Tunnel fahren lasse, hat das vor allem symbolische Bedeutung – aber verraten Sie's niemandem.“

Daß der Regisseur hier ein bißchen auch den eigenen Passionsweg beschreibt – den Zwang des Ausverkaufs an das weiße, pervertierte Establishment –, spürt man nicht erst, wenn Girl 6 bei einem weiteren Vorsprechen vor einem weiteren unangenehmen Regisseur in Hollywood einen Monolog aus Spike Lees „She's Gotta Have It“ rezitiert. Die Musik ist durchweg von Prince, zum Teil aus dessen eigenem Filmprojekt „Under the Cherry Moon“, und verleiht dem Ganzen eine Mischung aus Süße und schmucker Fatalität.

Damit uns die Verbindung zum Regisseur nicht entgeht, hat Lee auch einige weitere Hinweise auf den Film untergebracht, an dem er jetzt arbeitet – ein Biopic über den Baseballspieler Jackie Robinson. Ab und an stehen Randel und Lee gemeinsam vor dem Spiegel und er hilft ihr beim Schminken: Wer verschafft hier wem Ruhm? Man erwartet nun eine Broadway-Wendung des Ganzen, die Wiedergeburt von Randle als Star. Als es dann schließlich rosa Telefone vom Himmel regnet und sie nach Los Angeles fliegt, sieht man nicht nur für Girl 6 bessere Zeiten anbrechen.

„Girl 6“. Regie: Spike Lee. Buch: Suzan-Lori Parks. Kamera: Malik Sayeed. Mit: Theresa Randle, Madonna, Naomi Campbell, John Turturro, Quentin Tarantino, Isaiah Washington, Rolanda Watts u. a., USA, 1996, 135 Min.

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