■ Major agitiert gegen die Europäische Union
: Verfassungskrise in Europa

Kein Grund zur Europamüdigkeit. Was Major am Dienstag proklamierte, ist purer Nationalismus, eben nicht europäisches Alltagsgeschäft. Sinn der europäischen Integration ist es gerade, solche Muskelspiele der „nationalen Interessen“ zu verhindern.

Natürlich ist es in der Europäischen Union gängige Münze, daß Regierungen auf nationale Befindlichkeiten oder konkrete ökonomische Interessen hinweisen. Was Major tat, hat freilich mit der Artikulation legitimer Interessen nichts mehr zu tun. Er hat gedroht, die gesamte Zusammenarbeit lahmzulegen, wenn sich die Partner nicht seinen Wünschen fügen. Damit hat er eine echte Verfassungskrise erzeugt. Es fällt schwer, im deutschen Verfassungsrecht vergleichbare Beispiele zu finden, da die Bundesländer im Bundesrat zwar an der Gesetzgebung mitwirken, dort jedoch keine einstimmigen Entscheidungen erforderlich sind.

„Mildernde Umstände“ kann Major nur deshalb für sich reklamieren, weil auch er faktisch erpreßt worden ist. Längst ging es im Ständigen Veterinärausschuß nicht mehr nur um die BSE-Sicherheit von Gelatine, Talg und Rindersperma. Gerade die deutsche Regierung hat die teilweise Lockerung des Exportverbots für diese Produkte immer wieder mit anderen Fragen der BSE-Bekämpfung verbunden. Warum das neue Schlachtprogramm von Douglas Hogg „unzureichend“ war, konnte Landwirtschaftsminister Jochen Borchert nicht stichhaltig erklären.

Der Verdacht liegt nahe, daß die Bundesregierung unter allen Umständen – und ebenfalls aus innenpolitischen Gründen – eine Lockerung des Exportverbotes verhindern will. Denn diese Lockerung müßten die mehrheitlich SPD-regierten Bundesländer durchsetzen. Diese haben sich aber schon beim letzten derartigen Versuch im Februar medienwirksam zur Wehr gesetzt und eigenständige Importverbote für britisches Rindfleisch aufgestellt. Die Bundesregierung mußte dagegen auf Druck der Kommission darauf hinweisen, daß dies gegen EU-Recht verstößt.

Kurze Zeit später erfolgte das Eingeständnis der britischen Regierung, daß es doch einen Zusammenhang zwischen Rinderwahnsinn und der tödlichen Creutzfeld-Jacob-Krankheit geben könnte. Dies ließ die Bundesländer letztlich als Sieger dastehen. Derartiges scheint die Bundesregierung diesmal verhindern zu wollen. Wenn sich dieser Verdacht bestätigt, trägt die Bundesregierung mit ihrer starren Haltung gehörige Mitschuld an der derzeitigen Europakrise. Christian Rath