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Bauchschmerzen bei der Basis

■ GEW-Vorstand wirbt bei Lehrern für solidarischen Verzicht nach Vereinbarung über Teilzeitmodell

Die am Mittwoch zwischen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) geschlossene Vereinbarung zur Teilzeit stößt auf Zustimmung und Skepsis bei der Lehrerschaft. Auf der Landesdelegiertenversammlung der GEW hätten die meisten nur mit Bauchschmerzen zugestimmt, betonte gestern ein Delegierter. Kaum jemand glaube, daß sich genug Kollegen für das Modell melden. „Die Vereinbarung öffnet Tür und Tor für Kürzungen von oben“, befürchtet ein Reinickendorfer Lehrer. „Wenn wir jetzt Streichungen akzeptieren, wird es nächstes Jahr noch schlimmer.“

Durch freiwillige Teilzeitarbeit der festangestellten Lehrkräfte soll die vom Senat beschlossene Entlassung von etwa 850 befristet beschäftigten Lehrern abgewendet werden. „Wenn jeder dritte Lehrer eine Stunde weniger arbeitet, braucht niemand entlassen zu werden“, rechnet der GEW-Vorsitzende Erhard Laube vor. Die Herabsetzung der Arbeitszeit um einzelne Stunden ist genauso möglich wie ein mehrjähriger Verzicht auf einen Gehaltsteil, der durch ein bezahltes Freijahr ausgeglichen wird. Eine Kommission aus Schulverwaltung und Personalräten wird die freiwerdenden Stellen verteilen. Die Vereinbarung gilt zunächst nur für ein Jahr. Danach haben alle Festbeschäftigten wieder Anspruch auf eine volle Stelle. Für den Rest will Laube unbefristete Verträge aushandeln.

Die Vereinbarung sei kein Schulterschluß mit dem Senat, betont Laube. Gegen vom Senat finanzpolitisch begründete, pädagogische Verschlechterungen werde die GEW daher Ende Mai demonstrieren. „So eine Vereinbarung gab es noch nie im öffentlichen Dienst“, bekräftigt Laube. Die GEW will daher mit einer großangelegten Kampagne die Lehrer für ihr Solidarmodell gewinnen. Morgen sollen alle Lehrer Vorabinformationen bekommen. Unverzüglich sollen Schulkonferenzen und Personalversammlungen in den Bezirken einberufen werden. Bis zum 19. Juni müssen die Lehrer ihr persönliches Teilzeitmodell beantragen. Ob der Optimismus von Laube gerechtfertigt ist, muß sich in den nächsten Wochen zeigen. Die meisten Delegierten beklagen den Zeitdruck, unter dem der Vereinbarung zugestimmt wurde. Schon seit Monaten lag das Konzept der Schulsenatorin vor. Ihre Zustimmung signalisierte sie jedoch erst kurz vor der Delegiertenversammlung. „Normalerweise müssen wir bis zum 31. März Anträge auf Teilzeitarbeit einreichen“, erklären zwei Neuköllner Delegierte. Lehrer, die auf Gehaltsteile verzichten könnten, hätten dies längst getan.

Es sei noch völlig unklar, ob deren Anträge in den Stundenpool einflössen. Laube fordert daher vordringlich die Ostlehrer zur Solidarabgabe auf. Die GEW habe eine vorzeitige Anhebung der Ostgehälter auf 100 Prozent der Westzahlungen erreicht und gleichzeitig betriebsbedingte Kündigungen verhindert. „Uns fehlt aber die finanzielle Sicherheit“, beklagt ein Lichtenberger Lehrer, da viele Ehepartner von Arbeitslosigkeit bedroht seien. Gereon Asmuth

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