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Industrie vertraut bei Gentechnik auf Staatskasse

■ Der Staat stellt 50 Prozent der Forschungsgelder zur Verfügung. Gentechnisch hergestellte Medikamente ersetzen in den meisten Fällen nur altbekannte Mittel

„Wie man aus der Doppelhelix eine Goldader macht“, erklärte jüngst die Frankfurter Allgemeine Zeitung . Die modernen Goldmacher seien Forscher der kalifornischen Stanford-University. Diese hätten vor einem Jahrzehnt die heute überaus erfolgreiche Gen- Firma DNAX Inc. gegründet. Kritiker halten dagegen: Die Gentechnik insgesamt ist bislang ein Zuschußgeschäft.

Rückblick: Mitte der Achtziger schwamm die Biotechnologie auf einer Welle der geschäftlichen Vorfreude. Verkündet wurde eine neue industrielle Revolution. Der Weltmarkt für moderne Bioprodukte werde zur Jahrtausendwende 100 Milliarden US-Dollar groß sein, prognostizierte der Europäische Chemieverband noch kürzlich. „Völlig überzogene Vorhersage“, behauptet dagegen der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Dolata. Zwar hätte es auch kommerzielle Erfolge gegeben – so machen Blutwachstumsfaktoren wie „EPO“ oder „G-CSF“ weltweit mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz. Aber vor solchen „gentechnischen Megasellern“ ständen viele Flops.

Den gentechnischen Schwerpunkt bildet der Pharmasektor und damit die chemische Industrie. Auf sie entfallen 83 Prozent der diesbezüglichen Forschungsausgaben der deutschen Industrie. Neues fand bislang jedoch selten den Weg in die proppenvollen Regale der deutschen Apotheken; „EPO“, ein Hormon für Nierenkranke, ist eine seltene Ausnahme.

Medikamente sind die Hauptprodukte

„Die gentechnisch hergestellten Therapeutika und Impfstoffe haben vor allem substitutiven Charakter“, schreibt Dolata. Gleiches behauptet die Grüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer: „Fast alle gentechnisch hergestellten Pharmazeutika sind Substitutive“, ersetzen also herkömmliche Medikamente. Deutsche Erfolgsprodukte wie das Blutgerinnungsmittel „Faktor VIII“ von Bayer springen für altbekannte Arzneien ein, gestehen auch Firmenvertreter zu.

Immerhin dürften sich diese Substitute im Kampf um weitere Marktanteile mittelfristig rechnen. „Je mehr eigene, rechtlich geschützte Produkte wir anbieten, desto größer unser Marktanteil“, argumentiert manche Marketingabteilung. Daneben sind die gentechnischen Ersatzstoffe häufig mit einem geringeren Aufwand zu produzieren: So verdrängten die künstlich hergestellten Wachstumshormone die Extrakte von Hirnanhangdrüsen Verstorbener und biotechnische Blutgerinnungsmittel, die aus menschlichem Blut gewonnenen Präparate. Zudem sank das Sicherheitsrisiko, etwa einer HIV-Infektion, auf Null – und damit verschwand ein Kostenfaktor. Insgesamt brachten Gentechnikprodukte 1995 nur einen Umsatz von 12 bis 13 Milliarden US-Dollar – weniger als fünf Prozent des Pharma-Weltmarktes.

Dennoch gibt sich Boehringer Ingelheim vorsichtig optimistisch. Bereits heute bringe das qualitativ neuartige Rettungsmittel bei Herzinfarkt („Actilyse“) einen Umsatz von über 100 Millionen Mark, sagt Pressesprecher Arnold Kastenholz. „Actilyse“ entspreche körpereigenen Substanzen, die ohne Gentechnik nicht nachzubilden seien. Das Patent stammt wie häufig in diesem Bereich von einer kleinen Biotech-Schmiede, hier der US-Firma Genentech. Und typisch sind auch die enttäuschten Erwartungen: Ursprünglich hatte Boehringer mit einem Jahresumsatz von 400 bis 500 Millionen Mark gerechnet. Für Kritiker Dolata nicht verwunderlich, sei doch das herkömmlich produzierte „Streptokinase genauso wirksam und führt seltener zu schweren Nebenwirkungen“.

Gen-Lebensmittel ohne große Wirtschaftskraft

So wirkt „Actilyse“ ökonomisch paradox: Einerseits ist das Genprodukt neuartig und innovativ, wie Boehringer betont. Andererseits ist das Herzmittel in den meisten Anwendungsfällen wohl nur ein Substitut – oder schlicht ein weiteres Konkurrenzprodukt.

1994 war das erste „transgene“ Gemüse in den Supermärkten verkauft worden, eine von der US- Firma Calgene produzierte Tomate. Ihr folgten andere Mutanten in die Kochtöpfe der Welt. Auf den ersten Blick beeindruckende Aktivitäten: Bislang wurden in 32 Staaten über tausend Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Nutzpflanzen genehmigt. Wirtschaftlich bedeutsam sind diese Pilotprojekte allerdings noch längst nicht. Trotzdem setzt die deutsche Industrie gemeinsam mit Wissenschaft und Politik weiterhin auf eine profitable Zukunft des gentechnischen Weltmarktes. Forschungsminister Rüttgers will Deutschland bis zum Jahre 2000 zur Gentechnik Nummer eins in Europa machen. Damit es klappt, sieht das Bundesforschungsministerium (BMFT) für 1996 „knapp eine Milliarde Mark“ für Bioforschung, davon die Hälfte für Gentechnik, vor. Zusammen mit den Länderförderungen addieren sich so weit über eine Milliarde Mark. Doch die Wirtschaft zieht nicht recht mit. So stellt der Staat im jungen Biotech-Gewerbe 50 Prozent der gesamten Forschungsausgaben; im wirtschaftlichen Normalleben sind es nur 30 Prozent.

Das größte Hemmnis für Bio- und Gentechnik sei in der Vergangenheit die deutsche Industrie selbst gewesen und nicht die vermeintliche Schwäche des Forschungsstandortes Deutschland, meint Dolata. Biotechnologie lag lange Zeit außerhalb des Blickfeldes der zumeist von Chemikern geführten Konzerne. So habe der Staat bereits ein Jahrzehnt vor der Industrie die Branche als Zukunftsmarkt gefördert. Erst die rührigen Gen-Mixer in den USA setzten hierzulande eine japanische Variante in Gang: nachahmen und überholen.

Auch wenn die Stanford-Forscher mit ihrer profitablen Gen- Firma DNAX die Ausnahme bilden, typisch sind sie dennoch – nämlich für den amerikanischen Erfolgsweg, wenn er denn erfolgreich ist. Den biotechnologischen Vorsprung der USA erklärt Dolata mit großen staatlichen Programmen – ähnlich wie in Europa – plus einem schnellen Technologietransfer. Die Hochschulen arbeiten eng mit der Industrie zusammen, und viele Professoren vermarkten ihre Forschungsergebnisse in eigener Regie – wie bei DNAX. Die Ökologischen Briefe assistieren: Der angebliche wirtschaftliche Boom in den USA sei eine optische Täuschung. „Der bilanzierte Erfolg beruht bislang auf dem ständigen Zufluß von Risikokapital“ – mittlerweile mehr als 20 Milliarden US-Dollar. Vielleicht ist das rausgeworfenes Geld: Selbst im kapitalistischen Wunderland schreibt nur jedes hundertste Gen- Unternehmen schwarze Zahlen. Hermannus Pfeiffer

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