: Das Fenster zu Felix
■ Die etwas andere Homestory Von Frauke C. Paulitz
Alles begann um Weihnachten herum, als es so richtig kalt wurde. „Weißt du was“, eröffnete mein Mann mir eines Samstagmorgens, als er vom Einkaufen zurückkam, „ich habe Felix Magath in unserer Straße gesehen.“ „Wer ist das?“ fragte ich ahnungslos.
Schon bald darauf wurde es zur Gewißheit, daß diese Begegnung kein Zufall war. Eine, vielleicht zwei Wochen später rief mein Mann mich ans Fenster, und ich sah IHN zum ersten Mal: ER schleifte gerade eine Getränkekiste in den gegenüberliegenden Hauseingang. Wir Eheleute wechselten einen vielsagenden Blick. Nicht lange war es her, daß wir am Wochenende eine Menschenschlange beobachtet hatten, die langsam hinter der mit üppigem Stuck verzierten Gründerzeit-Fassade verschwand: das typische Panorama einer Wohnungsbesichtigung im beschaulichen Nordosten von Eimsbüttel. Jetzt wußten wir, wer der neue Nachbar war, dessen Schatten sich hinter milchfarbenen Rollos abzeichnete. Ein Gefühl sonderbarer, beinahe willkürlicher Vertrautheit verbindet mich seitdem mit diesem Mann, der aussieht wie die Mischung aus einem Kinderbuch-Troll und einem umbrischen Kieferchirurgen.
Ich gebe zu, ich interessiere mich überhaupt nicht für Fußball und eigentlich fesseln mich auch Homestorys nur gelegentlich. Aber hier liegt der Fall anders. Immerhin wohnt ein echter Promi vis a vis. Jetzt führen wir unsere Besucher stolz zum Fenster, tippen mit dem Zeigefinger an die Scheibe und sagen munter: „Da drüben wohnt Felix Magath.“ Die Gäste sind beeindruckt.
Auch mein 13jähriger Neffe Helge ist jetzt erstaunlich oft zu Besuch. Die meiste Zeit lauert er am Wohnzimmerbalkon und hält uns auf dem laufenden. „Jetzt hat er das Fenster zugemacht“, teilt er uns dann seine Beobachtungen mit – oder: „Scheint weggegangen zu sein.“ Die dann folgenden Stunden quälender Ungewißheit wurden aber manchmal doch noch belohnt. „Hey Leute“, entfuhr es Helge eines Samstagabends gegen viertel nach sechs: „Felix Magath guckt auch ran auf Sat1!“ Helges Gier nach intimen Entdeckungen ist jedoch seiner jugendlichen Unbedarftheit geschuldet und harmlos im Vergleich zu dem, was meinen Mann und mich seit Monaten an die Gardinen treibt.
Dabei gibt es, Hand aufs Herz, gar nicht viel zu sehen: ein spartanisch bestückter Balkon, in den Fenstern ein paar Grünpflanzen, die nichts hermachen, nicht wachsen, nicht eingehen und von denen wir auch welche haben. Die Tiefe der Magathschen Räume wird von Schatten verschluckt, und wenn abends Licht brennt, sind die Rol-los heruntergelassen. Es sind die spärlichen Details aus dem Nachbarhaushalt, die unseren Alltag bereichern: Zum Beispiel der schwarze Mercedes Benz mit dem Kennzeichen HH-SV (wir finden das degoutant) – abenteuerlich hinter der Straßenkehre geparkt (die Knöllchen zahlt ja vielleicht der Sportverein). Ein einziges Mal haben wir auch die Frau, die offenbar Felix Magaths Eimsbütteler Wohnung und Leben teilt, auf dem Balkon sitzen sehen. Es war der alles entscheidende letzte Spieltag, als der HSV gegen Frankfurt gewann. Die Sonne schien, die junge Frau hielt ein Handy am Ohr und telefonierte. Oje, dachte ich bei mir, mit einem Fußballtrainer liiert zu sein, ist am Wochenende bestimmt noch blöder, als einem Nachtschicht-Taxifahrer die Treue zu halten.
Mit neu erwachtem Interesse habe ich in den vergangenen Monaten auch die Sportseiten der Tagespresse überflogen. Als der Hamburger SV im Frühjahr Niederlagen einstrich und mit frechen Prophezeihungen schon das Scheitern des Trainers herbeigemutmaßt wurde, da hielt ich zu ihm. Nach dem HSV-Sieg über Bayern München war ich gerührt, als ich frühmorgens um vier Gegröhle von der Straße herauf hörte. Bestimmt verabschiedete sich da in der ersten Dämmerung die gesamte bierselige Besatzung des Mannschaftsbusses von einem müden, aber glücklichen Trainer (ich könnte schwören, es war eine ganze verdammte Mannschaft). Und er hat's ja am Ende auch geschafft, das „Wunder UEFA-Cup“, das der „Erfolgstrainer“ selbst in der Morgenpost so feinnervig bilanziert („Fußball ist ein sensibles Geschäft“). Ansonsten hat Felix jetzt erst mal Ferien, und wir können aus keinem aktuellen Spielplan auf seine An- oder Abwesenheit schließen. Bestimmt macht er Urlaub, auf den Lofoten oder in Brindisi. Dann, haben wir uns überlegt, kommt vielleicht Uwe Seeler zum Blumengießen. Und wir stehen zufällig gerade am Fenster...
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