: Hat man irgendwann einfach weggeschaut?
■ Rede von Elke Kröning, jahrezehntelang Mitglied der SPD, Mitgründerin und Fraktionssprecherin der AfB
Noch nie hat der Konkurs eines großen Unternehmens eine Region so erschüttert wie der Konkurs des Bremer Vulkan die Unterweserregion. Seit dem Zusammenbruch des Nordwolle-Konzerns im Jahre 1932 ist dies der erste Fall – weit über das Ende der AG Weser hinaus und auch ganz anders als das Ende der Borgward Werke –, der schlimme überregionale Schlagzeilen gemacht hat und macht. Er hat eine beispiellose Vertrauenskrise für die bremische Politik ausgelöst!
Der Untersuchungsausschuß, der auf Initiative der AFB eingesetzt wird, soll dazu beitragen, das zerstörte Vertrauen wieder aufzubauen. Bremen, Bremerhaven und ihr Umland, die es auch ohne diese Katastrophe schwer genug haben, ihre Wirtschafts- und Finanzprobleme zu lösen, haben die Wiedergewinnung von Vertrauen bitter nötig. Das ist Voraussetzung für jede Investition in die Zukunft!
Der Vertrauensverlust ist nicht nur in den Wirtschaftsartikeln der Zeitungen zu erkennen; er spricht nicht nur aus den Worten des Wettbewerbskommissars der Europäischen Union, Karel van Miert. Er ist auch in Bonn zu spüren.
Denn sonst hätte der Parlamentarische Staatssekretär und Landesvorsitzende der CDU Bremen, Bernd Neumann, nicht im Deutschen Bundestag von vornherein den Versuch gemacht, das Vulkan-Thema der SPD ans Revers zu heften.
Am schlimmsten ist die Vertrauenskrise in der Arbeitnehmerschaft innerhalb und außerhalb des Konzerns. Wenn die taz die Schiffbauer der MTW-Werft in Wismar mit den Worten zitiert: „Die vom Vulkan haben uns das Geld geklaut, das uns zusteht“, dann spricht das für sich. Mehr noch: es schlägt auf das Land Bremen zurück.
Oder wenn die Bild-Zeitung unter der Überschrift „Geht's Ihnen gut, Herr Hennemann?“ aufzählt, mit welcher Millionen – Abfindung der ehemalige Chef den Konzern verlassen hat, in dem 23.000 seiner Arbeiter um ihre Jobs bangen. Noch üppiger soll Herr Wagner abgefunden worden sein, während zahllosen Handwerkern die Rechnungen für ihre Leistungen nicht mehr bezahlt werden. Ich wünschte, die Vorstände wären nur nach Leistung bezahlt worden!
Ich bin überzeugt, der Vertrauensschaden in der Arbeitnehmerschaft in Bremen, Bremerhaven und weit darüber hinaus ist nur wettzumachen, wenn wir die Irrtümer und Fehler der Vergangenheit aufarbeiten und eine Wiederholung für die Zukunft ausschließen.
Dabei geht es nicht darum, Herr Kollege Weber, 4.500 Vulkanesen durch den Dreck zu ziehen, wie Sie es ausgedrückt haben. Es geht vielmehr darum, aufzuklären, wo die Ursachen für den Konkurs liegen und wer die Verantwortung bzw. Mitverantwortung trägt.
Wir müssen aus dieser Katastrophe Konsequenzen für eine saubere Abgrenzung von unternehmerischer und staatlicher Verantwortung in der Wirtschaft und für die Ziele und Schwerpunkte der bremischen Wirtschaftspolitik des nächsten Jahrzehnts ziehen. Arbeit sichern und Arbeit schaffen kann nur heißen, den Arbeitnehmern wieder Hoffnung und den Unternehmern Sicherheit geben!
Und, um es schon jetzt klarzustellen: Wir haben den Antrag erst gestellt, als die Vergleichsanstrengungen gescheitert waren und der Konkurs beantragt wurde. Wir wollen, daß der Untersuchungsausschuß seine Arbeit so konzentriert, daß niemandem ein Vorwand geliefert wird, die Rettung des Schiffbaus an der Unterweser aufzugeben. Denn wir halten eine nationale Schiffbauindustrie für lebensfähig, und auch für notwendig, um den Kern von zivilem Schiffbau in Europa zu sichern. Und wir wollen einen Anteil für die Unterweser!
Der Ausschuß sollte seine Arbeit zügig aufnehmen, damit Bürgerschaft und Senat schnellstens Konsequenzen aus den Ergebnissen ziehen können. Das ist besonders für Investoren wichtig, es muß endlich jeder wissen, woran er ist!
Was soll untersucht werden?
Erstens: Warum ist das seit Jahren diskutierte Unterweser – Konzept für den Schiffbau in Bremen und Bremerhaven nicht vorgelegt worden? Lag dies daran, daß Herr Hennemann den Arbeitnehmern nicht die Wahrheit zumuten wollte, daß die Unterweser-Werften im nationalen und internationalen Vergleich einen erheblichen Produktivitätsrückstand hatten und haben? Oder lag es daran, daß er dies auch nicht oder nicht voll der Politik offenbaren wollte? Oder die Politik offiziell davon nichts hören wollte? Und daß er im Unternehmen – auch gegenüber den Banken, die im Aufsichtsrat vertreten waren – ständig den Eindruck aufrecht erhielt, die Politik werde schon helfen? Spielte dabei das Arbeitsplatzargument – gerade in unserer strukturschwachen Region – die Schlüsselrolle? Hat zugleich das Ost-Engagement die bremischen Handlungsbedarfe verdrängt?
Nicht alle diese Fragen werden aus rechtlichen Gründen direkt zu erkunden sein, aber alle müssen beantwortet werden. Denn nur aus dem Wechselverhältnis von Geschäftspolitik des Unternehmens und deren politischer Absicherung durch Teile der Landesregierung ist zu verstehen, warum die Chancen, die der Konzern gehabt hat, nicht genutzt worden sind, das Schiff seetüchtig zu machen.
Was hat der Senat getan, um diese Vermischung privatwirtschaftlicher und öffentlicher Verantwortung zu kultivieren – oder um sie abzubauen? Welche Rolle spielten dabei neben der Schiffbaupolitik auch die Schiffahrtspolitik, also die Gründung der Senator-Linie, die Privatisierung der DSR und deren späteres Zusammengehen, die bekanntlich allesamt nicht ohne die öffentliche Hand geschehen wären?
Wie hat der Senat in diesem Zusammenhang den Stellenwert „maritimer Politik“ eingestuft, den Herr Hennemann auch verbandspolitisch zu propagieren verstand und für den er den zum Industriepolitiker gemauserten liberalen Kommissar Martin Bangemann gewann? Hat der Senat dabei die legitimen politischen Aufgaben der Hilfe bei Konzeption, Akquisition und Finanzierung vermengt mit Einflußnahme auf die Unternehmenspolitik – nicht zuletzt durch Tun und Unterlassen?
Diese Fragen sind gerade deshalb interessant, weil das Land sich bekanntlich in den letzten Jahren in deutlichen Schritten aus der Liaison mit dem Vulkan zurückgezogen hatte, z. B. 1993/94 mit dem Verkauf des Aktienpakets, das die HIBEG gehalten hatte. Wie kann es vor diesem Hintergrund angehen, daß der ehemalige Bürgermeister Wedemeier in einem Interview mit dem Weser-Kurier noch am 20. Oktober 1994, unter der Überschrift „Ich vertraue auf Friedrich Hennemann“, den neuen Vorstandsmitgliedern Schneider und Zinken öffentlich entgegenhielt: „Kommt nicht nach Bremen und meint, ihr müßt hier aufräumen auf Kosten der Arbeitnehmer.“ Und was meinte der Ex-Bürgermeister, als er neulich im Weser-Report auf die Frage nach der langen Vakanz an der Spitze des Vorstandes und des Aufsichtsrates erklärte: „Das hätte man mit mir nicht machen dürfen.“
Dies provoziert doch geradezu die Frage, wer wann aus der Bremer Politik auf die Besetzung von Vorstands- und Aufsichtsratspositionen Einfluß genommen hat! Und welche Folgen dies gehabt hat, als Herr Hennemann innerhalb und außerhalb des Unternehmens immer mehr in die Isolation geriet.
Hier, meine Damen und Herren, treten Denk- und Verhaltensstrukturen zutage, die offenbar lange Zeit an der Spitze von Senat und Vulkan vorherrschten und den Nährboden für die Polemik bilden, man habe oft nicht gewußt, wer wem gehört: der Vulkan Bremen oder Bremen dem Vulkan.
Dies führt schließlich zu dem dritten Komplex und zu der Frage, die im Zusammenhang mit der Sanierung der Finanzen und der Wirtschaft Bremens von existentieller Bedeutung ist:
Wie sind Aufwand und Ertrag der Engagements des Landes für den Vulkan unter dem Strich zu beziffern und zu beurteilen? Dabei verkennen wir nicht, daß Tausende von zusätzlichen Arbeitslosen – auch in der Zulieferindustrie – die Einnahmen- und Ausgabenseite des Bremer Haushaltes sehr viel schwerer belastet hätten, als sich dies in den ohnehin schlechten Daten zeigt. Doch es muß die Frage erlaubt sein, ob nicht weniger mehr gewesen wäre, ob dann nicht früher und stärker der wirtschaftliche Strukturwandel in Bremen und Bremerhaven vorangetrieben worden wäre.
„Jetzt hilft nur noch beten“
200 Mio. DM waren für das Unterweser-Konzept, über das Dr. Hennemann und Bürgermeister Wedemeier seit 1994 gesprochen haben, vorgesehen. Heute wissen wir, daß 800 Mio. DM notwendig wären, um den Standort Bremerhaven wettbewerbsfähig zu modernisieren.
Wie weit lagen Wunsch und Wirklichkeit bei diesen beiden auseinander, wie dilettantisch oder illusorisch und wahrscheinlich nur politisch motiviert ist hier gehandelt worden, und was ist dem Steuerzahler zugemutet worden?
Wir wollen deshalb auch wissen, wie der Bruch zwischen dieser Politik, die vor der Bürgerschaftswahl 1995 betrieben wurde, und der Politik, die der neue Senat unter seiner Doppelspitze Scherf/Nölle verfolgt, zu erklären ist.
Was meinte Bürgermeister Dr. Scherf, als er am 25. Januar 1996 im Handelsblatt erklärte, das Verbund-Konzept sei „immer noch richtig“, es sei nur „falsch realisiert“ worden, und was ist seiner Erklärung gefolgt, der Bremer Senat habe „Zeit gekauft“ für einen „vorsichtigen Umbau“ des Konzerns? Was ist daraus geworden?!
Oder galt nur, was Senator Nölle damals mit den Worten ausdrückte „Jetzt hilft nur noch Beten“.
Die Frage lautet also klipp und klar: Hatte und hat der Senat in den 90er Jahren ein Konzept für den Strukturwandel des Schiffbaus an der Unterweser, das vergleichbar sozialverträglich und zugleich wirtschaftskraftfördernd angelegt war wie in den 80er Jahren?
Was besagen die Gutachten, die offenbar vorlagen – z. B. von der Boston-Consulting-Group –, und sind sie in einen Dialog zwischen den zuständigen Stellen des Konzerns und des Landes eingegangen? Wenn nein, warum nicht? Waren die Gutachten im wesentlichen gedacht, um beim Senat unkonditioniert Geld locker zu machen, oder lagen ihnen realistische Investitionsvorhaben zugrunde?
Und schließlich: Hat man irgendwann einfach angefangen, wegzuschauen und den Dingen ihren Lauf zu lassen? Also nur noch Schadensbegrenzung statt Lösungskompetenz?!
Ich fasse zusammen: Wenn das weltweite Ansehen, das Bremens Schiffbau und Schiffahrt einst genossen haben, nicht endgültig verspielt werden soll, dürfen wir keine Kritik aneinander scheuen. Wir müssen alle kämpfen, um den guten Ruf Bremens wiederherzustellen.
Nur wenn wir nichts unter den Teppich kehren und doch fair bleiben, werden wir nach dem Streit wieder zusammenfinden. Und das müssen wir, denn die Menschen in unserem Lande haben einen Anspruch darauf, daß wir mit wirksamen Konzepten und Entscheidungen für ihre Zukunft sorgen und dafür auch außerhalb Bremens Akzeptanz und Unterstützung suchen.
Der Senat wird die am 21. Februar 1996 beschlossenen und der Bürgerschaft mitgeteilten Initiativen für die Sicherung von Werftarbeitsplätzen und für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen gegenüber dem Bund und den anderen Ländern nur mit Aussicht auf Erfolg vortragen können, wenn klar ist, daß in Bremen eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik betrieben wird.
Die Volksvertretung dieses Landes muß in einer Situation, in der noch nie so galt wie heute: „Bremen in Not“, Rechenschaft verlangen und Leitlinien geben. Diesem Zweck dient der Untersuchungsausschuß. Wir müssen verlorengegangenes Vertrauen in Brüssel, Bonn und in der Bremer Wirtschaft wettmachen. Auch dazu dient dieser Untersuchungsausschuß. Lassen Sie uns mit diesem Konsens an die Arbeit gehen!
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