: Olympische Mittäter
Die Ausstellung „1936. Die Olympischen Spiele und der Nationalsozialismus“ zeigt, wie Nazis und IOC kollaborierten. Das Stück hieß: „Friedliebendes“ Deutschland. In Wahrheit ging der Terror weiter ■ Von Hans-Hermann Kotte
Berlin (taz) – Schon am Tag nach Eröffnung der Olympischen Spiele von Berlin am 1. August 1936 bejubelte der Völkische Beobachter auf seiner Frontseite „Ein Weltereignis von unvergleichlicher geschichtlicher Wirkung“. Es war eine gigantische Schlagzeile zum Auftakt einer „gigantischen Camouflage“, wie der Historiker Hans Mommsen schrieb.
Tatsächlich zeigt das Propagandaunternehmen der Nazis Wirkung bis heute. Noch 60 Jahre danach geistert das Bild eines friedvollen Sportfestes durch die kollektive Erinnerung, insbesondere in Kreisen des Sports. Immer wieder gern aufbereitet wird die Legende, der Sport sei damals „mißbraucht“ worden – dabei hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) gemeinsame Sache mit den Nazis gemacht.
Die Spiele von 1936 seien eine „Oase der Freiheit in der Zwangsherrschaft“ gewesen, meinte später deren Organisator Carl Diem. Doch sie waren alles andere als das, wie seit Donnerstag die bislang umfangreichste Ausstellung zu diesem Thema in Berlin belegt. Drei Jahre lang recherchierten die Wissenschaftler der Stiftung Topographie des Terrors in rund 150 Archiven in aller Welt. Sie wählten 400 zum Teil unbekannte Fotos und 250 Dokumente aus.
„1936. Die Olympischen Spiele und der Nationalsozialismus“ faßt den neuesten Stand der deutschen und internationalen Forschung zusammen, geht aber auch darüber hinaus und konnte der Wissenschaft weitere Impulse vermitteln, so Reinhard Rürup, Leiter der Stiftung. Auf neues, aufschlußreiches Material stießen die Berliner insbesondere in den Gestapo-Akten und im Nachlaß des IOC-Funktionärs Avery Brundage.
„Nie schießt der Faschismus im roten Wien ein Goal – dafür bürgen die Arbeiterfußballer“, so steht es auf einem Transparent, das stolz während der Arbeiter-Olympiade 1931 in Wien hochgehalten wurde. Es kam – nicht nur in der Sportarena – ganz anders, und diese Ausstellung zeigt, wie und warum.
In den Jahren 1934 und 1935 wurde die weltweite Boykottbewegung gegen die Nazi-Spiele vom IOC kaltgestellt, wobei der spätere IOC-Chef Avery Brundage aus den USA eine entscheidende Rolle spielte. Bei den führenden IOC-Leuten war die Angst vor der „roten Gefahr“ ebenso ausgeprägt wie die Neigung zum Antisemitismus. Da paßte etwas zusammen.
Die Nazis nominierten also jüdische „Alibisportler“ und simulierten eine Verfolgungspause. Hinter den Kulissen aber ging der politische und rassistische Terror verschärft weiter und wurden entscheidende Weichen für die Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges gestellt. Vor den Toren Berlins liefen die Bauarbeiten für das KZ Sachsenhausen, während man in der Stadt den Olympiagästen ein fröhliches, „friedliebendes“ und prosperierendes Deutschland vorführte.
Die Roma und Sinti von Berlin waren im Lager Marzahn interniert worden, die Bettler wurden von den Straßen gefegt. Die Verfolgung von Homosexuellen war nur insoweit eingeschränkt, als daß die Polizei nicht gegen Ausländer vorgehen sollte. An den Hauptstraßen verschwanden die antisemitischen Hetzparolen, aber bei Mittenwalde südlich von Berlin fand ein Fotograf das Schild: „Juden sind in unseren deutschen Wäldern nicht erwünscht“.
Die Ausstellung beginnt mit den Ursprüngen des neuzeitlichen Olympia als Weihespiel männlicher Körperertüchtigung. Sie endet mit dem Kapitel „Kontinuitäten“. Da wird gezeigt, wie ungehindert die NS-Sportfunktionäre, die „Modernisierer“ der Spiele, ihre Karrieren nach dem Krieg fortsetzen konnten. So läßt sich erschließen, wie nahe sich die olympische Bewegung und die nationalsozialistische Bewegung 1936 gekommen sind – und welche Aspekte dieser Nähe bis heute fortwirken.
Einzelne Fotos und Dokumente wirken als Fokus: Etwa ein Bild von 1952, das den damaligen IOC- Vizechef Avery Brundage und den früheren Reichssportführer Karl Ritter von Halt in München zeigt. Lustig verkleidet mit Karnevalshütchen, sitzen sie zusammen bei Bier und Hendl. Brundage hatte Ritter von Halt, den Exnazi, nach dem Krieg mit Persilscheinen und Care-Paketen versorgt. Von Halt kam wieder ins IOC-Exekutivkomitee und wurde 1951 Chef des deutschen NOK. Alte Kameraden.
Es gibt da auch einen Brief, der dem US-Leichtathleten Jesse Owens während der Spiele von einem Engländer ins Olympische Dorf geschickt wurde. Darin wurde Owens aufgefordert, beim Sieg als Zeichen des Protests auf seine Medaillen zu verzichten. Der Brief hat Jesse Owens nie erreicht. Er wurde bei den umfangreichen Postkontrollen der Gestapo abgefangen. Nicht wenige Sportler und Betreuer meldeten solche „irritierende“ Post oder Flugblätter gar selbst bei den Behörden.
Geschildert wird auch der Fall der jüdischen Schwimmerin Ruth Langer. Die österreichische Meisterin über 100 und 400 Meter entschloß sich im Juni 1936, nicht an den Berliner Spielen teilzunehmen. Die damals 15jährige Boykotteurin wurde dafür vom Österreichischen Schwimmverband auf Lebenszeit gesperrt. Erst 1995 hob der Verband die Sperre auf.
Nachdem die Spiele von 1936 beendet waren, verbuchte die NS- Propaganda nicht nur „den Sieg des deutschen Sports auf der Olympiade“ als einen Rekord. Als „olympische Leistungen des neuen Deutschlands“ wurden auch die „ersten 1.000 Kilometer Reichsautobahn“ oder die „Rheinlandbesetzung“ gefeiert. Und, nicht zu vergessen: „Abgabe von 42 Millionen Volksstimmen für einen Kandidaten, den Führer – ebenfalls Weltrekord!“
Die Ausstellung mit umfangreichem Nebenprogramm ist bis zum 18. August in der ehemaligen staatlichen Kunsthalle in Berlin zu sehen. Ab 15. November wird sie im Haus der Geschichte in Bonn gezeigt. Dazu ist ein 240seitiger Katalog in deutscher und englischer Sprache erschienen.
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