■ Die ÖTV-Tarifrunde ist gescheitert – was nun?
: Streit auf der Titanic

Die Bilder und Töne sind aus jeder Tarifrunde bekannt: Proteste und rote Fahnen auf der einen, dramatische Sparappelle auf der anderen Seite – der Tarifkampf scheint seinen ganz normalen Gang zu gehen. Doch so, wie es im öffentlichen Dienst ist, kann es nicht bleiben. Neues Denken hat allerdings im Tarifritual kaum Chancen.

Fest steht: Die Organisation des öffentlichen Dienstes hat einschließlich ihres antiquierten Besoldungs- und Versorgungssystems keine Überlebenschance. Und das ist gut so. Für die künftigen Kunden von öffentlichen Dienstleistungen ebenso wie für die dienstleistenden Mitarbeiter. Angesichts der anstehenden Umbauaufgaben wirken die ritualisierten Beschwörungen der Schuldenberge einerseits und das jährliche Beklagen der Einkommensmisere anderseits wie ein Besoldungsstreit auf der untergehenden Titanic.

Dabei sind die Zustandsbeschreibungen der beiden Parteien noch nicht einmal falsch. Die Staatskassen sind tatsächlich leer, und mit den Reallöhnen im unteren Einkommensbereich des öffentlichen Dienstes ist eine Familie kaum noch halbwegs anständig durchzubringen. Doch dieser Misere stellen sich die Tarifpartner nicht. Die Arbeitgeber nicht, weil sie so tun, als hinge die Finanzsanierung von einzelnen Lohnprozenten ab. So lenkt man von den eigenen politischen Versäumnissen ab. Stadtdirektoren und Ratsfraktionen, die sich immer noch auf alten Trampelpfaden bewegen, sei eine Exkursion ins niederländische Tilburg empfohlen. Dort drohte der Stadt noch Mitte der 80er Jahre der Ruin. Nach dem Umbau der Verwaltung erwirtschaftet die Kommune inzwischen einen Überschuß. Über 11 Millionen waren es 1994. Daß dieser Erfolg auch mit erheblichem Beschäftigungsabbau einher ging, spricht nicht gegen das Modell, weil der soziale Absturz mit intelligenten Arbeitszeitmodellen verhindert werden konnte.

Gewerkschaften, die nur noch den Status quo verteidigen, können nicht gewinnen. Neue Wege sind gerade im Tarifbereich unumgänglich. Statt etwa lineare Lohnerhöhungen zu fordern, die den Schwachen nicht wirklich helfen, müßten sie die Starken bewegen, auf Geld im Tausch gegen Freizeit zu verzichten. Nicht zuletzt die Arbeitgeber haben durch ihr Nullrundengeschwätz dafür gesorgt, daß die Debatte darum nun nicht stattfindet. Dieser Traditionalismus läßt jetzt auch den „Modernisierern“ im gewerkschaftlichen Lager keine Chance. Walter Jakobs