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Eine Frau fordert Birmas Junta heraus

Ungeachtet der Massenverhaftungen findet der Parteitag der Opposition auf dem Grundstück der Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi statt. Tausende Zuhörer stehen vor dem Zaun  ■ Aus Rangoon Jutta Lietsch

„Ich habe nicht zu Hause geschlafen“, sagt der alte Mann. Der 75jährige Oppositionspolitiker hat Glück gehabt – er gehört zu den 17 Abgeordneten der birmesischen Nationalen Liga für Demokratie, die es am Sonntag morgen zum Haus der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi geschafft haben. Rund 300 wollten erscheinen, doch in der Woche vor dem geplanten Parteitreffen haben die Behörden mindestens 238 Delegierte verhaftet. Der alte Mann, der vorsichtshalber anonym bleiben will, war gewarnt worden und hatte sich auf beschwerlichen Umwegen nach Rangoon aufgemacht. Er ist erschöpft: „Aber das ist egal. Ich bin da.“

Die luftige Versammlungshalle aus Holzbalken und Palmenblattdächern ist eigens für das Parteitreffen neben der weißen verwitterten Villa von Suu Kyi am Rande des Inya-Sees von Rangoon errichtet worden. Es wimmelt von Parteimitgliedern und ausländischen Journalisten, ein paar Diplomaten sind auch da. „Erstes Treffen der Abgeordneten der Nationalen Liga für Demokratie, 27. Mai“ steht auf dem Transparent am Kopfende der Halle. Am 27. Mai vor sechs Jahren errang die NLD über 80 Prozent der Mandate, doch die Junta weigerte sich, die Macht zu übergeben.

„Natürlich kann dies kein Treffen der Delegierten unserer Partei sein, wenn 238 von den erwarteten 300 Teilnehmern verhaftet worden sind“, erklärt Aung San Suu Kyi wenig später, als sie die Versammlung unter heftigem Applaus eröffnet. Statt dessen wird in den nächsten drei Tagen „der erste einer Reihe von Parteikongressen stattfinden“, auf denen die Parteimitglieder sich über die künftige Arbeit der NLD verständigen.

Kerzengrade steht Aung San Suu Kyi vor dem Mikrophon, eine rote Rose leuchtet zwischen gelben Jasminblüten im Haar. Sie strahlt eine erstaunliche Kraft und Konzentration aus, fängt die ungeteilte Aufmerksamkeit ihres Publikums ein. Dabei muß sie erschöpft sein nach der Anspannung der vergangenen Woche. Auch zwei ihrer engsten Mitarbeiter sind verhaftet worden, in der militärgelenkten Presse erschienen düstere Warnungen vor neuen Unruhen. Doch trotz der Festnahmen haben Suu Kyi und die Führer der bedrängten Opposition die Partie gewonnen.

Denn die Ankündigung zum Oppositionstreffen ist zu einem Zeitpunkt gekommen, zu dem Aung San Suu Kyi unter einem enormen Druck steht: Die Junta ist dabei, ihre Macht zu festigen – auch mit Hilfe ausländischer Investitionen. Europäische und US- amerikanische Regierungen scheinen immer weniger geneigt, sich auf internationalen Konferenzen bei den asiatischen Kollegen wegen Birma unbeliebt zu machen. „Die Generäle haben sich einfach verkalkuliert. Ohne die Massenverhaftungen hätte sich die internationale Öffentlichkeit kaum für das Oppositionstreffen interessiert“, glaubt ein Diplomat in Rangoon. Doch die Initiative hat eine für Aung San Suu Kyi und ihre Anhänger noch wichtigere Folge: Sie mobilisiert die Sympathien und Hoffnung der Birmesen. Dies zeigt sich am Sonntag nachmittag, als sich acht- bis zehntausend Zuhörer vor dem Gartenzaun Suu Kyis drängen, um ihre Rede zu hören – soviel wie nie zuvor seit ihrer Freilassung aus dem Hausarrest im Juli vorigen Jahres.

„Lang lebe Aung San Suu Kyi!“ rufen die Zuhörer. Heftiger Applaus ertönt immer wieder, wenn die Frau hinter dem Tor vom Wunsch des Volkes nach Demokratie spricht. Hinter dem Wellblechzaun auf der anderen Seite der Universitätsstraße blinkt die Videokamera des Geheimdiensts.

Ungerührt lenken Polizisten die Autos durch die Zuschauermasse. Nach einer Stunde verteilt sich die Menge. Aung San Suu Kyi bleibt noch ein paar Minuten am Zaun stehen, um Menschen die Gelegenheit zu geben, sie von nahem zu sehen. In diesen Minuten wird deutlich, daß Aung San Suu Kyi für das Regime eine Herausforderung ist wie damals Nelson Mandela für die Apartheid-Regierung.

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