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Boris Jelzin als Friedensengel?

■ Gute Chancen für friedliche Lösung in Tschetschenien

Wahlkämpfer Boris Jelzin besitzt ein unnachahmliches Talent: Die Schweinereien, die er angezettelt oder zumindest nicht unterbunden hat – letzteres käme einer wohlwollenden Sicht der Dinge gleich –, schiebt er anderen in die Schuhe. Das macht es ihm in seinen Augen möglich, sich mit dem Tschetschenenführer Jandarbijew zu treffen, als sei nie etwas gewesen. Sollte der jetzt unterzeichnete Waffenstillstand halten, dann schwebt Jelzin womöglich in einigen Wochen als Friedensengel über Tschetschenien, während er sich der bellizistischen Klientel als Bezwinger des Kaukasus präsentieren kann. Die Aussichten, daß es mit dem Frieden in Tschetschenien diesmal wirklich vorangeht, stehen günstig.

In der Führung der Kaukasusrepublik reifte zuletzt die Einsicht, daß der Kampf mit dem Kreml auf Dauer nicht zu gewinnen ist. Offenkundig suchten die Tschetschenen seit Wochen Kontakt mit Moskau. Nach dem Tod Dudajews fehlte die Leitfigur, die den Durchhaltewillen der Rebellen auf längere Zeit hätte anheizen können. Und der neue Chef Jandarbijew, der anders als sein Vorgänger keine persönlichen Rechnungen zu begleichen hat, beweist einen kühlen Kopf.

Will er für sein Volk überhaupt noch etwas herausschlagen und es vor dem langsamen Genozid retten, dann müßte Jandarbijew bis zum Wahltag mit dem Kreml eine Übereinkunft finden. Danach würden die Preise sinken, egal welcher Präsident in den Kreml einzieht. Jelzin und seine skrupellose Mannschaft haben bewiesen, wie wenig es sie schreckt, Blut zu sehen. Erst die letzte Schlacht um den Rebellenstützpunkt Bamut kostete Hunderten auf beiden Seiten das Leben. Bamut galt als Hochburg der radikalsten Separatisten. Makaber, aber mit ihrer Schleifung hatte Jandarbijew jetzt den Rücken frei, um in Verhandlungen zu treten.

Schon jetzt ist klar, die Loslösung von Rußland gesteht Jelzin den Tschetschenen nicht zu. Man wird sich vielleicht auf weiterreichende Autonomierechte einigen, die schon im vergangenen Jahr Gegenstand der Waffenstillstandsverhandlungen gewesen waren. Die Hardliner in Moskau haben es damals geschickt hintertrieben, und Jelzin hat nichts dagegen unternommen. Jetzt läßt er das nicht mehr zu, denn diesmal geht es ums Überleben. Um sein Überleben. Klaus-Helge Donath

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