Lokalkoloratur

Das traute Bild täuscht. Milliarden von Heringen bleiben die Freuden der Paarung vorenthalten. Dem zum Matjes berufenen Fisch – der Name kommt vom holländischen „Meisje“ (junges Mädchen) – zum Beispiel geht es schon vor der Pubertät an die Kehle: Ausgenommen bis auf die Bauchspeicheldrüse, deren Verdauungsenzyme ihm die Reife geben, wird der noch jungfräuliche Hering gnadenlos auf Salz gelegt. Jungfische in Öl gibt es heute zur Matjes-Premiere. Die im Zelt auf dem Gerhart-Hauptmannplatz ausgestellten Herings-Porträts haben demnächst vielleicht auch nostalgischen Wert. Die Heringe in der Nordsee sind so stark überfischt, daß ihr Bestand nach Angaben von Fischerei-Experten zusammengebrochen ist. Das heißt, es gibt nicht mehr genug geschlechtsreife Tiere. Schuld an der Misere sind die Gammelfischer. In ihren engmaschigen Netzen blieben im vergangenen Jahr sechs Milliarden junge Heringe als Beifang hängen und wurden, bevor sie sich vermehren oder wenigstens als Pellkartoffelbeilage Verwendung finden konnten, zu Fischmehl zermahlen oder zu Fischöl zerkocht. Wird die Gammelfischerei nicht drastisch eingeschränkt, gibt es Matjes bald nur noch auf Gemälden. VM