: Stahl auf Steinfußboden
■ Zwei Autodidakten schweißen im Kunsthaus "Tacheles" an der Naht zwischen Skulptur und Möbel: Mitte Juni startet eine Ausstellung mit dem Titel "Silence"
Die weit geöffneten Metalltüren laden die Flaneure auf der Oranienburger Straße in die Metallwerkstatt des Kunsthaus Tacheles. Schweißgeräte, Schraubstöcke und rostiger Eisenschrott prägen den Arbeitsbereich der kargen Halle. „Beim Schweißen nicht in die Flamme gucken.“ Der in ein Blech eingelassene Hinweis bleibt ohne große Wichtigkeit.
Das Interesse der Besucher richtet sich weniger auf den Produktionsprozeß als auf die Produkte. Verspielte Stahlgebilde, bei denen auch auf den zweiten Blick kaum klar wird, ob sie nur Metallskulputur oder vielleicht auch Möbeldesign sind.
„Der Übergang ist fließend, für mich sind das Skulpturen mit Gebrauchswert“, meint der 27jährige Arda, der zusammen mit Kenan Sivrikaya (35) in den vergangenen vier Jahren die offene Atelierwerkstatt aufgebaut hat. „Wir versuchen mit unseren Möglichkeiten, dem Metall eine plastische Form zu geben“, erklärt Sivrikaya die Grundidee ihrer Arbeit. Zunehmend berücksichtigt Sivrikaya ergonometrische Formen in seinen Objekten. Stolz lädt er zum Probesitzen auf einem schneckenartigen Gebilde. Eine metallische Kühle dringt durch die Kleidung, doch der „Sessel“ ist trotz seiner Härte erstaunlich bequem. 250 Meter Schweißnaht findet man allein an diesem Objekt.
Nur wenige Arbeiten der Kaltschmieder sind im vorhinein konzeptuiert. „Altes Material hat seine eigene Ausstrahlung“, begründet Arda seine Vorliebe für den Werkstoff. Neben ihm am Boden wächst aus einer Metallplatte eine zusammengeschweißte Gliederkette, auf der ein Kranhaken sachte schwankt. „Solche Stücke sehe ich auf dem Schrottplatz oder auf dem Flohmarkt, und dann kommt mir eine Idee.“ Arda glaubt, daß die von Menschen geformten Werkstücke, die er weiterverarbeitet, bereits menschliche Formen enthalten. „Manchmal muß man gar nicht viel dazu tun. Die Inspiration kommt dann bei der Arbeit. Das Resultat ergibt sich erst zum Schluß.“
Entsprechend vielfältig sind die Ergebnisse. Eine geradlinige Garnitur, deren Sitzmöbel erst durch aufgesetzte Holzlehnen eindeutig ihrer Funktion zugeordnet werden können. Wild verspielte Gebilde mit aufgesetzten Hörnern, die man bei gutem Willen auch als Stuhl bezeichnen könnte. Drachen- und vogelähnliche Phantasiefiguren, die mal nur Skulptur, mal auch Garderobe oder Kerzenständer sind.
Bei seinen neueren Arbeiten löst sich Arda zunehmend von den formvorgebenden Metallstücken. Er hat eine Vorliebe für die Verwendung von Kleinstmaterial entwickelt. Zuerst hatte das nur praktische Gründe. „Je kleiner die Sachen sind, desto leichter kann man ihnen eine Form geben“, erzählt der Metaller. „Inzwischen hat sich aber eine eigene Ästhetik daraus ergeben.“ Bis zu zwei Meter hohe Stuhlgebilde schweißte er aus Metallplättchen und Schrauben zusammen.
Kunstschulen hat keiner der beiden besucht. Kenan Sivrikaya datiert seine autodidaktische Hinwendung zur Kunst bereits auf sein elftes Lebensjahr. Arda versuchte sich zunächst als Mediziner, brach das Studium jedoch ab und ging zunächst nach Japan, wo er sich dem Butoh-Tanz widmete. Als Darsteller und Tänzer des „Theatre Malade“ reiste er durch Europa, bevor er in Berlin hängenblieb und im Tacheles mit den Metallarbeiten begann. „Das Material hatte mich schon immer fasziniert. Vielleicht gibt es da eine natürliche Affinität, ich bin ja ein großgewachsener Mann“, erklärt sich Arda seine Hinwendung zum harten Werkstoff. Inzwischen können beide von den Verkäufen ihrer Arbeiten leben. Die Preise seien nicht elitär, meint Arda. Ein Stuhl koste etwa zwischen 1.000 und 2.000 Mark, was bei den hohen Kosten für die Schweißtechnik angemessen sei. Zudem sei jedes Stück ein Unikat. Optimal sei ein Käufer, der genügend Platz hat, um die Objekte zur Geltung zu bringen, hofft Arda, auch wenn ihm klar ist, daß er darauf keinen Einfluß hat. „Auf Steinfußboden vielleicht, wo eine schöne Musik spielt oder Stille herrscht.“ Die eigenwilligen Skulpturen brauchen eine Umgebung, in der sie sich entfalten können.
Ihre Werke seien bodenständig, meinen die Künstler, sie strahlen eine Ruhe aus. „Silence“ wird daher auch ihre für Mitte Juni geplante Ausstellung heißen, in der sie die letzten vier Jahre resümieren wollen. Adar reizt der Kontakt mit den Besuchern. „Eigentlich arbeiten wir nicht für das breite Publikum, bekommen aber trotzdem größtenteils Zustimmung.“ Zudem könnten sie, anders als in den klassischen Galerien, die verschiedenen Entwicklungsstadien der Objekte miterleben. „Beim ersten Besuch liegt einfach nur Material in der Ecke, beim nächsten Mal ist es in einer Skulptur verbaut, und beim dritten Besuch hat sich diese wahrscheinlich nochmals verändert, da wir auch an bereits ausgestellten Objekten weiterarbeiten.“ Nach der Ausstellung wollen Arda und Sivrikaya die Idee des offenen Ateliers weitertragen. Für einige Monate werden sie in Kopenhagen arbeiten. Und auch Japan steht nach dem Abstecher Richtung Skandinavien wieder auf Ardas Fahrplan. Gereon Asmuth
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