: Zwang bringt Müll
■ Ein Hamburger Uni-Professor verweigert sich standhaft dem Mikrozensus Von Marco Carini & Martin Sonnleitner
Einen solchen Brief hatte Jürgen Lüthje, Präsident der Universität Hamburg, bislang noch nicht erhalten. Hans-Jürgen Kleinsteuber, Professor am Uni-Institut für Politische Wissenschaft, bat seinen „Dienstherrn“ in dem vierseitigen Schreiben um „Verständnis“ für „eine Gehaltspfändung“, die „auch in meine Personalakte“ eingegangen war. „Über den Vorgang und meine Beweggründe“, so befand der 52jährige Politologe, sollte der Hochschul-Chef schon „informiert“ sein.
Denn der Grund für die aktenkundige Gehaltspfändung ist ein besonderer: Der ansonsten beredte Wissenschaftler hatte zu lange geschwiegen. Gegenüber dem statistischen Landesamt hatte sich Kleinsteuber geweigert, im Rahmen des Mikrozensus Detail-Informationen aus seinem privaten Lebensumfeld preiszugeben. Der höchst persönliche Datenschutz aber war den Fachmann für „vergleichende Regierungslehre“ teuer zu stehen gekommen. Im Januar pfändete die Behörde 1058 Mark von seinem Professoren-Gehalt.
Kleinsteuber ist Wiederholungstäter. Weil der Politologe die Qualität einer „Datenabgabe unter Zwang“ grundsätzlich anzweifelt, verweigerte er schon 1994 erstmals die Auskunft. Die Konsequenz: Von einem Japan-Aufenthalt zurückgekehrt fand er nicht nur die Androhung eines Zwangsgeldes in seinem Briefkasten, auch dessen Vollstreckung war bereits in vollem Gange. Allerdings könne er, so bot ihm eine Mitarbeiterin der Statistikbehörde an, das Geld behalten, wenn er ihr die Fragen fix fernmündlich beantworte. „Sie können doch gar nicht prüfen, wen Sie am Apperat haben“, wandte der Hochschullehrer erstaunt ein. Die verblüffende Antwort der Datensammlerin: „Das macht doch nichts“.
Da auch dieser Dialog ihn von der Seriosität der Zwangsbefragung nicht restlos überzeugen konnte, verweigerte sich Kleinsteuber den StatistikerInnen 1995 erneut – und kassierte postwendend den nächsten Zwangsgeldbescheid. Als er öffentlich ankündigte, die ihm angedrohte Gerichtsvollzieher-Visite filmisch zu dokumentieren, wählte das öffentlichkeitsscheue Amt eine andere Zwangsgeld-Beschaffungsvariante: Von seinem Februar-Gehalt wurden 1058 Mark direkt ins Stadtsäckel überführt.
Da Kleinsteuber auch in diesem und im kommenden Jahr dem Mikrozensus unterliegt, dürfte seine Personalakte noch um ein paar Eintragungen reicher werden. „Die Druckmittel, die dem Staat beim Mikrozensus zur Verfügung stehen, sind überwältigend“, ärgert sich der Politologe: „Es gibt Verweigerer, denen nach einer erfolglosen Pfändung sogar Erzwingungshaft angedroht wurde.“
Ob der Politikgelehrte seine schnieke Eimsbüttler Altbauwohnung tatsächlich mit einer kargen Knastzelle vertauschen wird, steht noch in den Sternen. „Wie es weitergeht, weiß ich nicht“, räumt er ein. Was er genau weiß ist, daß „Zwang vor allem Datenmüll produziert“. Von den Zensus-Betroffenen, die Kleinsteuber persönlich kennt, habe zwar niemand wie er offen verweigert, aber auch kein einziger „korrekte Angaben“ gemacht. So ist sich der Professor sicher: „Die deutsche Zwangssituation provoziert verdeckte Widerstandshandlungen, die das Datenmaterial auf unkontrollierbare Weise verfälschen.“ ,Kein Wunder, daß der Wissenschaftler inzwischen einräumt, über die „Qualität deutscher Statistiken völlig desillusioniert“ zu sein.
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