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Kein Sex mit Hunden

■ Bremen stellt sich im Internet dar – laut und lustig, brav und bieder / Die besten Bremen-Seiten im Vergleich

The internet, of course, is more than just a place to find pictures of people having sex with dogs.

Time Magazine, 7/95

Wer das Internet immer noch für eine geheime Brutstätte des Bösen hält, der kennt Bremen nicht. Sex, Gewalt, Nazi-Propaganda und Tips zum Bombenbasteln – nicht auf den Bremen-Seiten im Netz. Da zählen die Ausgehtips für Tangotänzer schon zum Exzessivsten, was es zu entdecken gibt. Gänzlich gediegen und einheitlich ist das digitale Bremen-Bild im Internet allerdings nicht: Mehrere Anbieter wetteifern bereits auf dem Markt und bringen elektronische Stadt-Broschüren heraus. Zielgruppe sind vor allem Auswärtige, die sich via Computernetz über Land und Leute informieren wollen. Das Bild, das die Internetsurfer dabei von der Stadt bekommen, ist je nach Anbieter ziemlich verschieden – wildes, buntes Leben auf der einen Seite, auf der anderen das hanseatisch-steife Lebensgefühl.

Als lustiges Dorf lernt Bremen kennen, wer sich auf die Website der „Internationalen Stadt Bremen“ (ISB) begibt. Der offiziöse Tonfall des Unternehmens täuscht: Dahinter verbirgt sich die Firma dreier Bremer Computerfreaks, die sich kregel und kundig um die digitale Darstellung der diversen Bremer Szenen kümmern.

So hat sich die ISB-Stadt in kurzer Zeit zu einem weitverzweigten und wild wuchernden Gärtchen entwickelt. Wer hier die Rubrik „Kultur“ anklickt, dem tun sich ungeahnte Seiten der Stadt auf. Die übliche Liste repräsentativer Museen bleibt uns erspart; dafür stellt sich z.B. die Galerie Herold, eine neue Nische für Experimentalkunst, als Umschlagsort von Tecknonächten und Körperkunststücken vor. Finstere Gesichter erscheinen auf den Seiten der Musikagentur „Planetsound“ – die Visagen von „Party Diktator“, Darling der hanseatischen Independent-Szene.

Dieser Mix ist natürlich vollkommen willkürlich – dafür mit vielen Überraschungsmomenten. Wer hätte im digitalen Bremen eine Rubrik namens „Tango im Norden“ erwartet? Die dazu rappelvoll ist mit kessen Adressen? Wo man erfährt, wann z.B. in der Hollerstraße 6 zum „Tango-Tanz-Tee“ geladen wird? Tanzpartner liefert der Computer-Service gleich dazu: Unter dem diskreten Button „Darf ich bitten ...“ verbirgt sich eine gut bestallte Kontaktbörse.

Reichlich dröge stellt sich das Bremer Kulturleben hingegen auf den offiziellen Webseiten der Senatspressestelle dar. In bunten Pixelbildchen und kreuzbraven PR-Texten wird den Netztouristen all der Schmus nochmals aufgetischt, der aus den Broschüren des Verkehrsvereins sattsam bekannt ist. Kaum klickt man den Bremer Schlüssel an, das symbolische Eingangstürchen des Computerdienstes, erscheint Gefasel der Sorte: „Das Geschäftig-Kompetente einer rastlos agierenden Hafen-, Handels- und Business-Metropole. Das Ambitionierte bis Provokative eines veritablen Kulturzentrums.“ Und so fort.

Die zugehörigen Bilder zeigen dann das übliche Schönwettergesicht der Stadt. Der Marktplatz voller Gäste, der Roland friedlich besonnt; das Glockenspiel in der Böttcherstraße – alles in schwer pointillistischer Pixelgrafik.

Trübe hingegen, was der neueste Anbieter digitaler Bremensien zu bieten hat. Das „Internet-Café“ in der Neustadt verspricht auf seinen hauseigenen Bremenseiten „Coffee, Cocktails & Connections“. Das klingt vielversprechend – aber eine gute Woche, nachdem der Dienst ins Netz ging, bietet z.B. die „Kultur“-Rubrik immer noch weniger Informationen als die Gelben Seiten der Post. Einzige Ausnahme: Ein Kino-Überblick mit kritischen Anmerkungen zur Ausstattung der Lichthäuser. Zu Recht wird hier das „typische Garagenambiente“ im Ufa-Stern gescholten, und auch die Tonanlage im „Cinema“ bekommt, was sie an Kritik verdient. In dieser Richtung müßte es weitergehen. Aber noch sind die meisten Rubriken öde – unter „Kneipen“ sind ganze vier Adressen aufgelistet.

So sind die meisten dieser neuen Bremer Seiten altbekannt. Und bieten selten mehr Anregungen als die auf ordinärem Papier gedruckten Broschüren. Die wirklichen Vorzüge der Netztechnik nutzt allein die „Internationale Stadt“. Hier sind kluge Kreuz- und Querverbindungen geschaltet – wer sich aufs virtuelle Tango-Parkett begibt, kann auch per Hyperlink mit einem einzigen Mausklick in die Tango-Cafés anderer norddeutscher Städte hineinschauen. Vor allem aber nutzt die ISB die Chance zur Interaktion zwischen ihren Gästen. Das „Gästebuch“ der Stadt und vor allem die „Einwohner“-Seiten machen die virtuelle Stadt lebendig: Hier haben die ISB-Fans breiten Raum zur Selbstdarstellung in Wort und, je nach Geschick und Software, Bild. Hier hat das „Geschäftig-Kompetente“ der Stadt reale Namen – z.B. den Namen Cord Oldenbüttel, Tarmstedt, „Hobbys: Karate, Kunst, 2 große Hunde und der Wald.“ Und wer mehr über den freundlichen Netzbewohner wissen will, kann ihm fix ein elektronisches Briefchen schicken. So kommt Leben in die Bremer Geisterstadt. tw

Adressen:

http://www.is-bremen.de

http://infothek.informatik.uni-bremen.de

http://www.netwave.de

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