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Think for yourself!

„Wirke zuversichtlich und strahle Mut aus. Du wirst den Krieg gewinnen“: Zum Tod von Timothy Leary – Pionier der Bewußtseinserweiterung in den Sixties, Held der Hippie-Revolution und Großvater des Cyberspace  ■ Von Mathias Bröckers

Eigentlich wollte er online sterben, vor der Kamera und im Internet. Aber dann hat er den vom Krebs geschwächten Körper doch des Nachts verlassen, ohne ein letztes Ausatmen im Cyberspace. Timothy Leary – Psychologieprofessor, Psychedelik-Aktivist und einer der Helden der 68er Kulturrevolution – starb 75jährig in seinem Haus in Los Angeles. Seine Ankündigung, den ersten „virtuellen Suizid“ zu zelebrieren und „live“ zu sterben, hatte in den USA zu erhitzten Debatten geführt. Auf seiner Homepage (wwwaleary.com) listete er nicht nur aktuelle ärztliche Bulletins, sondern auch die illegalen Substanzen auf, die seinen schwerkranken Zustand erleichterten – und versprühte weiter Optimismus und Witz. Für Galgenhumor oder sensationshaschende Tabubrecherei konnte das nur halten, wer von Leary und von psychedelischen Drogen – und damit von den Grundlagen des kulturellen Umbruchs der letzten Jahrzehnte – nichts verstanden hat.

Giordano Bruno ist „Staatsfeind Nr. 1“

Als Nixon ihn zum „Staatsfeind Nr. 1“ erklärt hatte und weltweit jagen ließ – wegen zehn Gramm Hanf in der Tasche seiner Tochter war er zu zehn Jahren ohne Bewährung verurteilt worden – zog er in den US-Knast unter dem Namen Giordano Bruno ein. Die Knackis hielten ihn für ein Mitglied der Bostoner Mafiafamilie Bruno, von dem Mönch und Philosophen, der nicht „abschwören“ wollte, hatten sie noch nie gehört.

Bis zu seinem Tod wollte Timothy Leary nicht abschwören, daß ein Botenstoff aus dem Pflanzenreich sein Bewußtsein radikal erweitert hat und dieser Informationsschub auch allen anderen Menschen guttun würde.

Es war während eines Mexiko- Urlaubs 1960, als die akademische Karierre des Dr. Leary den entscheidende K(n)ick erhielt: Der eben nach Harvard berufene Psychologieprofessor probierte einen psilocybinhaltigen magischen Pilz:

„Er roch feucht. Der Geruch war der von morschem Holz oder wie gewisse Keller in Neuengland, und er schmeckte schlimmer als er aussah. (...) Mir fing an, komisch zu werden. Wie Lachgas beim Zahnarzt. Ich lachte über meine tägliche Pomposität, jene unverschämte Arroganz des Wissenschaftlers, die Unverschämtheit des Rationalen, die glatte Naivität von Worten im Gegensatz zu den unverfälschten, reichen, ewig wechselnden Panoramen, die mein Gehirn überfluteten. ,Siehst du's, Dick? Unsere kleinen Gehirne?‘ Er nickte. Gut, daß er es auch sah. Er fing zu lachen an. Ich ergab mich der Freude, wie es Mystiker seit Jahrhunderten getan haben, als sie durch den Schleier blickten und entdeckten, daß die Welt – so plastisch sie schien – eigentlich eine kleine, vom Verstand konstruierte Bühnenszene war. Es gab eine Flut von Möglichkeiten, dort draußen (oder drinnen?), eine unendliche Anordnung von Programmen für andere Zukunftsszenarien. (...) Ich entdeckte, daß das Gehirn ein unterbenutzter Bio-Computer ist, der Milliarden von unerschlossenen Neuronen enthält. Ich lernte, daß das normale Wachbewußtsein ein Tropfen in einem Ozean der Intelligenz ist. Daß das Gehirn neu programmiert werden kann. Daß das Wissen um das Funktionieren unseres Gehirns die dringlichste wissenschaftliche Aufgabe unserer Zeit ist. Ich war außer mir vor Enthusiasmus, überzeugt, daß wir den Schlüssel, nach dem wir suchten, gefunden hatten.“

Der Enthusiasmus nach seinem ersten Trip, den Leary in seiner Autobiographie („Flashbacks – Denn sie wußten, was sie tun“) schildert, hat ihn sein Leben lang nicht verlassen. An der Harvard- Universität begann er nach diesem Erlebnis umgehend mit der Erforschung von psychedelischen Substanzen und erzielte sowohl bei der Therapie von Schwerverbrechern in Gefängnissen als auch bei Versuchen mit Theologiestudenten erstaunliche Ergebnisse. Nach einem Experiment, bei dem ein Theologenseminar vor dem Besuch der Karfreitagsmesse LSD erhalten hatte (und eine Kontrollgruppe ein Placebo) berichtete die LSD- Gruppe von religiösen Gipfelerlebnissen und göttlichen Offenbarungen; apathischen Langzeitgefangenen und Schwerverbrechern halfen Sitzungen mit Psilocybin, ihren Kommunikationspanzer zu öffnen.

Das Mutterkorn ist die Lösung aller Probleme

Weder der Genuß von Psilocybin noch der des von Albert Hofmann 1943 synthetisierten Alkaloids des Mutterkorns (LSD) waren zu dieser Zeit illegal – und Learys messianische Begeisterung sorgte für eine schnelle Verbreitung unter den Studenten.

Ein staatliches Verbot ließ so wenig auf sich warten wie Learys Rausschmiß aus Harvard 1963. Was seine Aktivitäten freilich nicht stoppte: Er forderte die junge Generation weiter auf, die kulturell konzessionierten Bewußtseinszustände zu überschreiten, sich anzutörnen, einzuschwingen und auszuklinken – Learys Parole „turn on, tune in, drop out“ wurde zum Motto einer Generation. Jedoch die Warnungen des Exprofessors, daß jede Reise der Vorbereitung bedarf und Umgebung und Partner stimmen müssen, wurden nur zu oft überhört – bald machten gräßliche Horrortrips mit tödlichem Ausgang Schlagzeilen. LSD und sein Prophet Leary gerieten in der öffentlichen Meinung in denkbar schlechten Ruf. Doch die, nicht nur im Vergleich zur Zahl der Alkoholtoten, sehr seltenen LSD- Unglücke waren dafür nicht der eigentliche Grund – der Grund waren Tausende erfolgreiche LSD- Versuche und ein Heer von Psychonauten, die die gesellschaftlichen und kulturellen Werte radikal umkrempelten.

Rückblickend wird deutlich, daß der Innovations- und Kreativitätsschub, den Hippies und Gammler, Blumenkinder und Langhaarige, Freaks und Ausgeflippte damals anzettelten, bis heute wirksam ist; auf die Gesellschaft von 1963 freilich wirkten Learys Anweisungen für den intelligenten Gebrauch von Drogen so bedrohlich, wie es die Einführung von praktischer Sexualkunde hundert Jahre zuvor getan hätte. Staat und Kirche, den Obwaltern der Symbolsysteme, konnte das nur suspekt sein: Die Theologen bestanden darauf, daß mystische Geheimnisse und Offenbarungen nur durch schweißtreibende Buße, Meditation, Fasten und Leiden erreichbar seien, nicht aber durch Instant-Erleuchtung.

Auch bei den Militärs und Geheimdiensten schrillten alle Alarmglocken. Sie hatten schon seit 1945 Versuche mit LSD durchgeführt und festgestellt, daß ein oder zwei Sitzungen ausreichten, „um eine völlig angepaßte Person die verrücktesten Dinge tun zu lassen“ – allerdings keine Dinge, die im militärischen Sinne nutzbar waren, weshalb man die Experimente wieder einstellte. Und jetzt rüstete dieser eloquente Harvard-Prof die Jugend der Welt mit der Geheimdienstwunderwaffe auf und forderte, daß jede/r Operator/in des eigenen Gehirns werden sollte.

Wenn die kursierende Verschwörungstheorie stimmt, daß die ersten größeren LSD-Mengen Anfang der sechziger Jahre aus Geheimdienstlaboren stammten, dann ist kein ordnungspolitischer Feldversuch gründlicher nach hinten losgegangen als dieser. Nicht nur mutierten die Leute, wie der von Leary angeturnte John Lennon, schlagartig zu Kriegsdienstverweigerern, sie begannen sich gegen jede Autorität aufzulehnen und neue Wege zu gehen, in Kunst und Kultur, in Lebens-, Liebes- und Eßgewohnheiten.

Willkommen im Tempel von Eleusis

Im 4. Jahrhundert v. Chr. wurde ein reicher Athener angeklagt, den heiligen Trunk von Eleusis seinen Gästen bei einer Party gereicht zu haben. Aufgrund der erhaltenen Prozeßakten fanden Wissenschaftler in den siebziger Jahren heraus, was es mit diesem Trunk auf sich hatte: Er enthielt die Alkaloide des Mutterkorns, LSD. Bevor ihn christliche Barbaren zerstörten, war der Tempel in Eleusis (bei Athen) 2.000 Jahre lang das bedeutendste Mysterium der Antike. Die Initianten wurden sechs Monate lang auf ihre pflanzeninduzierte Erleuchtung vorbereitet. Auch wenn er Parties und profanen Genüssen niemals abgeneigt war, steht Leary eher in der Tradition dieser eleusischen Schamanen, Magier und Alchimisten – allerdings als einer, der die Geheimnisse keinem Elitezirkel vorbehalten, sondern sie – pragmatisch, amerikanisch, do-it-yourself – jedermann zugänglich machen wollte. „Think for yourself“ hätte über dem Harvard-Tempel gestanden, hätte man Leary gewähren und die Universität zum Eleusis des Informationszeitalters ausbauen lassen.

Die weitgehend unterschätzte Bedeutung psychoaktiver Pflanzen auf das Entstehen von Bewußtsein, Religion und Kultur und das aktuelle, von einem absurden Drogenkrieg beförderte Unwissen über diese Substanzen, machen es für die Allgemeinheit schwer, die bedeutende Rolle dieses „verrückten Professors“ zu verstehen. Tatsächlich hat sich mit Timothy Leary eine der einflußreichsten Persönlichkeiten dieses Jahrhunderts verabschiedet – ohne ihn kein „Sgt. Pepper“ und kein Woodstock, kein „Apple“-Computer und kein Videoclip, jedenfalls nicht hier und jetzt. Es wird den Kulturhistorikern der Zukunft vorbehalten sein, die Spuren des neoarchaischen und neognostischen Revivals freizulegen, das Mitte der sechziger Jahre mit Leary als Kommunikator und Katalysator der Psychedelik in Gang kam. 1966 riet ihm sein Medienberater McLuhan:

„Deine Rivalen denunzieren das Gehirn als Werkzeug des Teufels. Einfach unbezahlbar! ... Wirke zuversichtlich und strahle Mut aus. Du wirst den Krieg gewinnen. Doch du wirst die protestantische Ethik nicht in ein paar Jährchen umstoßen. Diese Kultur weiß, wie man Leiden und Schmerz verkauft. Drogen, die den Geist beschleunigen, werden nicht akzeptiert werden, bevor die Gesellschaft auf Computer eingestellt ist.“

Als Leary Ende der siebziger Jahre aus dem Knast freikommt, hat diese Computerrevolution gerade angefangen, und er redet fortan kaum von etwas anderem: „Computer und Telefon sind für die äußere Gehirnstruktur dasselbe wie Drogen für die innere: ein Vehikel. Es kommt darauf an, sie zum Wachstum des individuellen Selbst zu nutzen, und nicht nur zur Darstellung statistischer Funktionen. „Der PC muß sich zum Inter-Personal-Computer entwickeln“, meinte er Anfang der Achtziger. Heute sind wir in dieser Entwicklung mittendrin, und in zwanzig Jahren vielleicht wird man Learys Theorie der Bewußtseinserweiterung endlich verstehen. Er war kein Beispiel – er war ein Vorspiel: „Die Raupe kann den Schmetterling nicht verstehen.“

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