■ Michael Steiner, Stellvertreter der Bildt-Administration: Dayton-Abkommen für Bosnien muß eingehalten werden: „Frieden? Nicht mit Karadžić!“
taz: Das Dayton-Abkommen scheint zu scheitern. Die Vertriebenen können nicht zurückkehren, die Wahlen sind gefährdet, die als Kriegsverbrecher Verdächtigten laufen frei herum, die zugesagte Hilfe für die Wirtschaft kommt nicht an. Hat die internationale Politik erneut versagt?
Michael Steiner: Verglichen mit der Lage noch zu Beginn dieses Jahres ist vieles erreicht worden. Es wird nicht mehr geschossen, die Lage der Menschen in Sarajevo ist jetzt unvergleichlich günstiger als damals. Es hat sich sogar erstaunlich viel Verkehr zwischen der serbischen und der kroatisch-muslimischen Entität, also den Teilstaaten, entwickelt. Die noch vor wenigen Monaten überall bestehenden Kontrollstellen wurden abgebaut.
Ich will jedoch nichts beschönigen. Wir haben in bezug auf die Lage der Vertriebenen keine Fortschritte machen können. Manche Politiker und Militärs, die als Kriegsverbrecher angeklagt sind, sind noch in Amt und Würden. Viele Menschen fürchten einfach, nach Abzug der Ifor-Truppen könnte es erneut zum Krieg kommen. Solange Radovan Karadžić Präsident der Serbischen Republik ist, sind wir nicht in der Lage, das Abkommen von Dayton in Bosnien-Herzegowina vollständig zu implementieren.
Der Fisch stinkt also vom Kopf her. Wenn Ihnen das klar ist, warum wird dann gezögert, dieses Problem zu lösen?
Carl Bildt und seiner Administration kann diesbezüglich nichts vorgeworfen werden. Wir sagen allen und jedem: Wenn dieses Problem nicht gelöst wird, dann gerät das Dayton-Abkommen in Gefahr. Auch der serbische Präsident Milošević ist gefordert. Milošević will Karadžić mittels der Wahlen loswerden, wir denken aber, Karadžić muß vorher gehen. Milošević könnte mehr dafür tun, dies zu erreichen. Er muß von der internationalen Seite deshalb unter Druck gesetzt werden.
Was hindert denn Ifor daran, die mutmaßlichen Kriegsverbrecher zu verhaften?
Wir brauchen einen internationalen Konsens über das Problem Karadžić. In der Bosnien-Kontaktgruppe haben sich die Standpunkte inzwischen weitgehend angenähert. Nun geht es an die Umsetzung.
Wie soll die aussehen?
Wir können zum Beispiel in bezug auf die Wirtschaftshilfe aktiv werden. Die Führung in Pale darf kein Geld bekommen, das sieht auch die serbische Opposition so. Gleichzeitig wollen wir aber die Bevölkerung unterstützen. Die internationale Gemeinschaft besteht ja nicht aus Serbenhassern, sondern aus Leuten, die helfen wollen, einen stabilen Frieden zu erreichen. Der jedoch ist mit der jetzigen Führung nicht zu machen.
Viele Vertriebene sind entschlossen, an ihren Herkunftsort zurückzukehren. Wir müssen diesen Leuten ein Licht am Ende des Tunnels zeigen. Die Rückkehr der Flüchtlinge ist nicht nur eine moralische Pflicht, sie ist auch eine politische Notwendigkeit. Um die Rückkehr zu verhindern, wird von Leuten wie Karadžić ständig wiederholt: „Wir können nicht mit den anderen zusammenleben.“ Dies ist nichts als ein ideologischer Machterhaltungsmechanismus. Und deshalb ist eine solche Politik ein direktes Hindernis für die Rückkehr der Flüchtlinge.
Dieser Blockade entgegenwirken würde ein wirtschaftlicher Wiederaufbau. Diesbezüglich sind große Worte gemacht worden, aber konkret ist zu wenig gelaufen. Warum dauert zum Beispiel die Anstoßfinanzierung für den Wiederaufbau so lange?
Es ist richtig, die Wiederaufbauhilfe kommt nur langsam in die Gänge. Es ist jedoch zu beachten, daß schnell ausgegebenes Geld teuer sein kann. Man muß vorher eine Gesamtplanung erarbeiten. Tatsache ist, daß sowohl die Weltbank wie die EU noch nie so schnell gearbeitet haben wie jetzt hier für Bosnien. Es gibt allerdings noch Probleme damit, daß manche Staaten große Summen geben wollten, aber in Wirklichkeit kneifen. Dabei wissen alle, daß die Riesensummen für den militärischen Bereich rausgeschmissenes Geld sind, wenn der zivile Wiederaufbau nicht vorankommt.
Auch bei der Organisierung der Wahlen sind Sie nicht zurechtgekommen. Woran hat das gelegen?
Die Wahlen sind Sache der Parteien, es muß eine Mindestbereitschaft geben, sie auch durchzuführen. Dennoch: Trotz aller Anstrengungen durch die OSZE wird es keine idealen demokratischen Wahlen geben. Wir brauchen aber Institutionen, die einigermaßen legitimiert sind. Die Wahlen im September sind also wichtig. Die Alternative wäre die Errichtung eines internationalen Protektorats, das auch von großen Teilen der Bevölkerung gewünscht wird. Aber die internationale Gemeinschaft hat dafür keine Legitimation gegeben, wohl aber eine zur Durchsetzung des Abkommens von Dayton.
Die Aufnahmeländer von Flüchtlingen, wie die Schweiz, Österreich und Deutschland, müßten doch eigentlich ein Interesse daran haben, daß die angeklagten Kriegsverbrecher schnell verhaftet werden. Haben die Politiker dort Ihre Botschaft verstanden?
Ich glaube nicht, daß es irgendjemand in diesen genannten Ländern gibt, der nicht versteht, daß das Problem Karadžić gelöst werden muß. Dabei ist aber zu sehen, daß der Provinzpsychiater Karadžić nur deshalb interessant ist, weil er als Kriegsverbrecher angeklagt ist und deshalb dem Gericht zugeführt werden muß. Wichtiger bei Karadžić ist, wofür er steht.
Sie interessiert die Macht, die ihn stützt, die Leute, die hinter ihm stehen?
Ja, darum geht es, und zwar nicht nur bei den bosnischen Serben. Auch in der bosniakisch-kroatischen Föderation funktioniert nicht alles, wie es funktionieren soll. Wie im serbischen Pale gibt es, mit Abstufungen, auch dort Leute mit faschistoiden Ansichten, es gibt auch dort totalitäre Strukturen.
Und solange auch in den beiden Nachbarstaaten, in Kroatien und in Serbien, totalitäre Machtstrukturen bestehen bleiben, wird Bosnien-Herzegowina negativ beeinflußt. Wenn die Analyse richtig ist, daß das Problem bei den Führungen liegt und nicht bei den Bevölkerungen, daß es also keine Gene gibt, die die Menschen naturnotwendig hin zum Kriege treiben, dann kann die Lösung nur in einer tiefgreifenden Demokratisierung liegen.
Diejenigen, die glauben, man sollte sich realpolitisch damit abfinden, daß dieses Land geteilt wird, liegen falsch. Jede Teilung Bosniens bedeutet einen neuen Krieg. Große Teile der Bevölkerung haben das durchaus verstanden. Und sie wollen Frieden. Interview: Erich Rathfelder
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