: Primus wird zum Währungsbengel
■ EU-Finanzminister schicken Deutschland blauen Brief wegen unsolider Finanzpolitik. Waigel stimmt dagegen
Berlin (AFP/rtr) – Die Bundesrepublik ist wegen eines zu hohen Haushaltsdefizits vom EU-Ministerrat gerügt worden. Die Finanzminister der Union beschlossen gestern in Luxemburg, Deutschland, genau wie elf anderen Ländern, einen sogenannten blauen Brief zu schicken. Das teilte Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) vor Journalisten in Luxemburg mit. Lediglich Luxemburg, Irland und Dänemark bescheinigte die Kommission eine stabilitätsorientierte Finanzpolitik.
Für 1995 hatte die EU-Kommission ein Haushaltsdefizit von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit ein Überschreiten der für die Währungsunion angestrebten Dreiprozentmarke festgestellt. Auch für 1996 wird ein Defizit von über drei Prozent erwartet. Außerdem wird die Gesamtverschuldung erstmals über 60 Prozent des Bruttosozialprodukts ausmachen. Im vergangenen Jahr hatte Bonn keinen „blauen Brief“ aus Brüssel erhalten. Jedoch war schon 1994 das deutsche Haushaltsdefizit gerügt worden.
Waigel sagte, es sei wahrscheinlich, daß Deutschland auch 1996 ein übermäßiges Defizit aufweisen werde. Die Kommission erwartet laut ihrer wirtschaftlichen Vorausschau für Deutschland ein Defizit von 3,9 Prozent im laufenden Jahr. Waigel, der als einer strengsten Verfechter für die Einhaltung der Stabilitätskritieren gilt, sagte in Luxemburg: „Wir sind nie als Musterknaben aufgetreten.“ Dänemark und Irland wurden nur gegen den deutschen Widerstand von der Rüge ausgenommen. Dänemark wies laut EU-Kommission 1995 zwar eine Staatsverschuldung von 71,9 Prozent des Bruttoinlandproduktes auf, während der EU-Vertrag höchstens 60 Prozent zuläßt. Die EU-Kommission wollte aber den positiven Trend in der dänischen Konsolidierungspolitik würdigen. Diese lasse eine weiteren Abbau der öffentlichen Verschuldung erwarten. Das gleiche Argument machte die Kommission im Falle Irlands geltend. Waigel bezeichnete den Beschluß zugunsten Dänemarks und Irlands als falsches Signal, das die Stabilitätskriterien in Frage stelle.
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