: Hamburgs feurige Tradition
■ Seit 100 Jahren setzt die Hansestadt auf Müllverbrennung statt -vermeidung: Offiziell ein Grund zum Feiern Von Sven Bardua und Heike Haarhoff
Die Neigung manches Hamburger Umweltpolitikers, Abfall am liebsten zu verfeuern, hat Tradition: Vor 100 Jahren – am 1. Januar 1896 – nahm Hamburg die erste große Müllverbrennungsanlage auf dem europäischen Festland, die MVA Bullerdeich, in Betrieb. Denn mit der Industrialisierung begann der Müllberg den Hanseaten schier über den Kopf zu wachsen.
Nach der Cholera-Epidemie von 1892 – mit 8000 Toten die letzte große in Europa – wurde nicht länger gezögert: Hamburg beschloß den Bau der MVA Bullerdeich. Doch bereits im Jahr 1507 hatte ein gewisser Dr. Johannes Bökel in seiner „Pestordnung für Hamburg“ auf Zusammenhänge zwischen Seuchen und Stadthygiene hingewiesen und gefordert, sich des Problems der Entsorgung anzunehmen.
Unumstritten war der Ofen nicht, lehrten doch Erfahrungen mit kleineren Anlagen aus England, daß MVAs die Luft stark verpesteten. Die MVA Bullerdeich allerdings hatte Warmluftgebläse, die das Feuer auf 650 Grad Celsius anheizten. Damit wurde die Leistungsfähigkeit verbessert und die Luftverschmutzung verringert. Dennoch galt die Arbeit in der Anlage als gesundheitsschädlich.
Im ersten Betriebsjahr wurden in der Hamburger MVA mit 36 Öfen etwa 45.000 Tonnen Müll in Asche verwandelt. Heute verbrennen kleine Anlagen mit je zwei Öfen etwa doppelt so viel, die großen Hamburger Anlagen – ebenfalls nur mit zwei Öfen – etwa 200.000 bis 320.000 Tonnen pro Jahr.
Die erste MVA wurde 1912 durch eine weiterentwickelte Anlage in Barmbek ergänzt und 1924 stillgelegt. Auch die benachbarte Stadt Altona betrieb seit 1913 einen Müllofen. Den großen Fortschritt aber brachte erst 1931 die MVA in der Borsigstraße, wo erstmals Maschinen vollständig die schwere Handarbeit übernahmen.
Bereits vor 100 Jahren wurden die Produkte aus der Müllverbrennung – analog zu heute – weiterverwertet. Mit der Wärme wurde Strom erzeugt, die Schlacke als Baustoff verkauft und die Asche als Dämmstoff genutzt. Bis in die 70er Jahre hinein verschmutzten die MVAs stark die Umwelt, weil die Rauchgase fast ungefiltert die Schornsteine verließen. Lediglich ein Teil der Flugasche wurde seit 1935 mit Elektrofiltern herausgeholt.
Inzwischen sind MVAs nicht mehr wegen ihrer Rauchwolken gefürchtet: Die Schadstoffe werden mit aufwendiger Technik fast komplett aus den Abgasen gefiltert; 1995 verkündete deshalb Umweltsenator und MVA-Fan „Feuer-Fritz“ Vahrenholt, das Dioxin-Problem sei zu 99 Prozent gelöst. MVAs werden häufig Deponien vorgezogen, weil letztere erstens ein hohes Boden- und Grundwasserbelastungsrisiko bergen und zweitens nicht unbegrenzt Flächen für Müllkippen verfügbar sind. Als Abfallentsorgungs-Monopol sind MVAs dennoch umstritten, tragen sie doch keineswegs zur Müllvermeidung bei: Um wirtschaftlich zu arbeiten, müssen die Anlagen ausgelastet sein.
Heute verbrennt Hamburg seinen Müll weitgehend in den Anlagen Stellinger Moor (1973), Borsigstraße (1994) und Stapelfeld (1979). Eine weitere MVA in Altenwerder ist geplant. 1994 wurden vom Hamburger Müll 562.000 Tonnen verbrannt, 324.000 Tonnen vor allem in Schönberg und Damsdorf deponiert und 131.200 Tonnen verwertet (Altpapier, Sperrmüll, Kühlgeräte usw.).
Das Jubiläum „100 Jahre Müllverbrennung“ feiert die Hamburger Stadtreinigung am Samstag, 8. Juni, mit einem Tag der Offenen Tür von 10 bis 18 Uhr in der MVA Stellinger Moor.
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