: "Die schwänzen alle ihren Beruf"
■ Theater der Gegenwart? Bloß noch Zerstreuung! Sagt Klaus Völker, der Leiter der Schauspielschule Ernst Busch. Der Erfolg der Volksbühne sei ein Freizeitphänomen, und auch mit dem DT gehe es bergab
taz: Sie gehören zu den schärfsten Kritikern des gegenwärtigen Theaterbetriebs. Nach Ihrem Dafürhalten beherrschen „professionelle Dilettanten“ und „mittelmäßige Gefälligkeitskünstler, die ihren Beruf nicht können“ die Szene. Leidet das Theater an der Unfähigkeit der Regisseure?
Klaus Völker: Nicht nur. Aber leider gibt es nicht mehr allzu viele ihr Handwerk beherrschende und Schauspieler beflügelnde Regisseure wie zu ihren Zeiten Kortner, Besson und Noelte oder heute Stein und Zadek.
Ist das Regietheater am Ende?
Das eigentlich zeitgenössische Theater sind nach wie vor Regiekonzeptionen oder Theaterkonzepte, meistens in der Auseinandersetzung mit alten Stücken oder Stoffen, die in der Zurichtung den Zeitgeist reinbringen.
Nur haben die meisten Regisseure heute gar nichts zu sagen. Kortner hatte in seiner Zeit die außergewöhnliche Probenzeit von sechs bis sieben Wochen, am Ende zwei Monate, und galt als der Wahnsinnsprobierer. Der war aber auch in der Lage, zwei Monate zu probieren, er hätte noch einen Monat länger probieren können, und es wäre weiterhin spannend und aufregend für die Beteiligten gewesen. Da hat es sich gelohnt. Heute sind sechs bis acht Wochen Probe die Regel, aber die meisten Regisseure sind gar nicht in der Lage, länger als drei Wochen interessant zu probieren. Die schwänzen alle ihren Beruf. Das ist Zerstreuung und sonst nichts.
Sie werfen dem Theater vor, sich Experimenten zu verweigern, es mute seinem Publikum zu wenige neue Stücke zu.
Es werden bestimmt 80, wenn nicht 120 neue deutsche Stücke im Jahr uraufgeführt. Die Frage ist nur, wo. Auf der kleinen Bühne oder im Studio? Und wie oft werden sie gespielt? Diese Stücke müssen die ersten Schauspieler des Hauses machen. Und nicht die, die gerade übrig sind mit einem Regieassistenten. Nein, wenn Peymann oder Stein die große Produktion macht, muß es möglich sein, zehn Tage Pause einzulegen und schnell mit demselben Ensemble auch ein neues Stück zu produzieren.
Die neuen Stücke sind natürlich nicht so gut wie Shakespeare, das macht aber nichts. Es muß dieses Wechselverhältnis geben. Theater muß auch immer ganz schnell und kurzfristig reagieren können.
Meinen Sie damit auch, daß das Theater politischer werden soll?
Es ist schade, daß die Theater sich heute viel schneller dem allgemeinen Trend anpassen und bedeutungsloser werden. Ich finde, die Theater brauchen mehr Mut zu einer sinnvollen Konfrontation. Die sehe ich nicht darin, wenn das zynische Medienecho auf Sex, Blut und Gewalt auch auf der Bühne praktiziert wird.
Ich finde es bedauerlich, daß man sich so wenig für den Menschen auf der Bühne interessiert wie im Moment und nur die Ohnmacht reproduziert, die der Mensch täglich erfährt. Ihn aber nicht da zeigt, wo er stark sein kann, nicht zeigt, daß eine menschliche Solidarität möglich ist und daß es nicht nur darauf ankommt, sich möglichst geschickt mit den Ellenbogen durch die Zeit zu hauen. Theater kann den Menschen im besten Fall ermutigen, ihm ein Gefühl dafür vermitteln, an bestimmten Punkten eben doch Einflußmöglichkeiten zu haben, mal ganz bescheiden gesagt. Ich glaube nicht, daß man den Menschen oder die Welt verändern kann, aber man kann ein bißchen ins Nachdenken kommen, die Einstellung zur Welt ist veränderbar.
Theater könnte, wo es Position bezieht, tatsächlich öffentlich wirksam werden?
Jedes Theater hat ja ein bestimmtes Publikum, und mit dem tritt es in Kommunikation. Die kann auch politische Züge annehmen. Das muß nicht so aussehen wie in der Volksbühne, wo es in letzter Zeit nur noch die Verlängerung des täglichen Szenenkneipentheaters zu erleben gibt.
Aber die Volksbühne ist ein Modell für Theater, das Publikum anzieht.
Das ist oft nur ein Freizeitphänomen. Theaterzuschauer, die tagsüber eine andere Arbeit machen und sich dann zwei, drei Stunden mit Theater befassen, interessieren mich mehr als Leute, die den ganzen Tag nichts anderes machen und abends ins Theater kommen. Freizeitmenschen sind die schlechtesten Theaterbesucher, weil die sich nicht mehr konzentrieren können. Castorfs Inszenierungen hatten früher einen schärferen Zugriff. „Rheinische Rebellen“ etwa. Marthalers Inszenierungen gefallen mir. Sie bringen Poesie ins Spiel und verlangen Konzentration. Die mag ich meistens sogar sehr, da passiert auch einiges Lebendiges. Aber die Müll-Tendenz des Theaters – das interessiert mich nicht.
Sehen Sie zum Beispiel das Deutsche Theater positiv?
Es entspricht mir mehr. Obwohl ich sehr viel Kritik, die aber produktiv gemeint ist, dagegen vorbringe. In vielem, was sie bieten, ist zuwenig Biß drin.
Man müßte zum Beispiel sagen, so was wie Alexander Langs Inszenierung der „Dreigroschenoper“, auch wenn sie ständig ausverkauft ist, ist eigentlich gar nicht erlaubt im Theater. Oder Thomas Langhoffs so gräten- und gesichtslose Inszenierung von „Heinrich IV.“ – das ist doch traurig. Alle Stadttheater-Aufführungen, die ich früher gesehen habe, waren kräftiger. Da hat man wenigstens kapiert, warum dieser Prinz die Bordelle aufsucht und in die Gosse geht. Damit klar ist: Ich messe hier Langhoff und Lang an ihren eigenen guten Inszenierungen. Ich denke nur an Alexander Langs wunderbare Arbeiten in den achtziger Jahren wie „Dantons Tod“ und „Gotland“, wo auch die Schauspieler immer weiterkamen. Da wurde das Ensemble entwickelt, wurden Entdeckungen gemacht. Heute ist's so verzagt, Theater mit gesenktem Kopf, alle Schlachten sind geschlagen.
Kann ein Stück von dem, was Sie wünschen, Wirklichkeit werden in der Situation, daß Theater überall zur Disposition stehen und in Zukunft noch viel mehr zur Disposition stehen werden?
Na ja, gut, es steht alles mögliche zur Disposition. Merkwürdigerweise wird an anderen Dingen weniger gerüttelt. Deswegen bin ich ein wenig skeptisch, was die Möglichkeiten von Theater in dieser Situation anbelangt, weil sich die meisten Menschen natürlich für ihre Beweglichkeit, für Mobilität und Tempo entscheiden werden, für Zerstreuung. Mir ist die Beweglichkeit im Kopf wichtiger.
Ich finde es erhaltenswert, daß man in ein Theater gehen kann und derlei Dinge. Es ist ein Unsinn, alles jetzt kaputtzuschlagen, die ganzen Strukturen kaputtzumachen, nur damit wir unter drei Prozent Staatsverschuldung kommen. Damit diese ganzen Großprojekte stattfinden können, von denen nur wenige profitieren, während die öffentliche Hand immer weniger bekommt, weil zu viele Arbeitsplätze abgebaut, keine langfristigen geschaffen werden. Wir müssen nicht auf den Euro zugehen und können trotzdem eine europäische Verständigung machen.
Es muß doch auch nicht jeder in die Karibik gekarrt werden. Ein Flug nach New York ist viel zu billig, alles, was man nicht unbedingt braucht, ist viel zu billig, und wichtige, lebensnotwendige Dinge wie die Wohnung, die müßten viel niedriger gehalten werden.
Diese Autos sind alle viel zu billig, wie sie da rumstehen. Bald sind die so billig wie eine Eintrittskarte in die Oper, das ist doch furchtbar! Und sie müssen sie auch noch nach China verkaufen, sonst bricht hier alles zusammen. Es wird ja überhaupt nur noch an wenigen Stellen Produktivität erarbeitet, also rentabel gearbeitet. Das finde ich einen Wahnsinn. Schneider, Tischler, Buch- und Blumenbinder und solche Berufe sind alle nicht rentabel – und das ist doch furchtbar! Interview: Nikolaus Merck
Heute abend hat des Sophokles „König Ödipus“ in der Regie von Alexander Lang im Deutschen Theater Premiere.
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