Der lange Marsch des Islamistenchefs nach Kabul

■ Iran schmiedet in Afghanistan erfolgreich eine Allianz gegen die Taliban-Miliz

Berlin (taz) – Auf einem weißen Pferd wollte er in Kabul einreiten und in dessen Hauptmoschee sein Gebet verrichten. So verkündete es Gulbuddin Hekmatjar, Chef der Islamischen Partei Afghanistans, auf Flugblättern, als im Februar 1989 die letzten Sowjettruppen aus dem mittelasiatischen Land abzogen. Auch im April 1992, nach dem Fall des Nadschibullah-Regimes, erfüllte sich sein Traum nicht. Seine Kämpfer wurden von einer Allianz seiner Hauptkonkurrenten, der Truppen Burhanuddin Rabbanis und des Usbeken-Warlords Abdurraschid Dostam, gestoppt.

Erst jetzt konnte sich Hekmatjar den Weg in die Hauptstadt freiverhandeln. Der Kommandeur der dank CIA-Geldern einst am besten ausgerüsteten Mudschaheddin-Fraktion Afghanistans hatte sich Ende Mai mit dem seit 1992 als „Interimspräsident“ herrschenden Rabbani auf einen Sechs-Punkte- Plan zur Machtteilung geeinigt. Seine Partei soll demnach künftig den Premier sowie die Ressortchefs für Inneres und Verteidigung stellen. Ferner sind Wahlen und die Errichtung einer islamischen Ordnung vorgesehen. Was Hekmatjar sich darunter vorstellt, hat er bereits in seinem Einflußbereich verwirklicht. Dort ordnete er die Schließung der Märkte während der Gebetszeit an, verbot das öffentliche Spielen von Musik, steckte die Frauen in „islamische Kleidung“ und untersagte ihnen „zielloses Herumspazieren“. Von den Wahlen will er die „muslimischen Schwestern“ ebenfalls ausschließen.

Als Vortrupp schickte Hekmatjar 1.200 seiner Mudschaheddin nach Kabul. Sie kämpften erstmals an der Seite der Rabbani-Truppen gegen die von Pakistan unterstützte Taliban-Miliz, die seit Monaten Kabul belagert. Für Rabbani ist Hekmatjar vor allem wichtig, weil er weitere Bündnispartner im Schlepptau hat: seine bisherigen Alliierten aus dem Obersten Koordinierungsrat der Islamischen Revolution (SCCIR). Vor allem ein Seitenwechsel der Usbekenmiliz Dostams würde das Kräfteverhältnis entscheidend verändern.

Gestützt wird der neue Dreierbund von Iran, Indien und Rußland. Besonders Irans Regierung hatte auf das Bündnis gegen die Taliban gedrängt, hinter denen sie die destabilisierende Hand Washingtons vermutet. Indien befürchtet hingegen, ein eventueller Erfolg der Taliban und Pakistans könnte als nächstes zu einer Eskalation in Kaschmir führen. Und Moskau will in Afghanistan in erster Linie Waffen verkaufen. Teheran hat sich damit im afghanischen Bündnispoker vorerst gegen den Rivalen Pakistan durchgesetzt, das die Taliban gemeinsam mit dem SCCIR gegen Rabbani mobilisieren wollte.

Letztes Zeichen für Islamabads diplomatische Niederlage war der Rücktritt des UN-Vermittlers für Afghanistans, Mahmud Mestiri. Nachfolger wird der deutsche Diplomat Norbert Holl. Der tunesische Exaußenminister hatte, voll auf pakistanischer Linie, der Kabuler Regierung stets die Legitimität abgesprochen und für deren Isolierung in der UNO gesorgt. Die ließ als Revanche mehrere Friedenspläne Mestiris platzen. Gelingt es den Iranern jetzt, auch die Taliban in Kabul in eine Machtteilung einzubinden, könnte vielleicht sogar eine drohende neue Runde des Bürgerkriegs verhindert werden. Thomas Ruttig