: Lohnverzicht für Arbeit auf der Werft
■ Die IG Metall durchbricht Tarifvertrag: Bremer-Vulkan-Mitarbeiter arbeiten für ein Viertel weniger Lohn
Bremen (taz) – Die IG Metall ist über ihren Schatten gesprungen: Um die Werften des ehemaligen Vulkan Verbunds in Bremen und Bremerhaven zu retten, hat die Gewerkschaft den Flächentarifvertrag durchbrochen und nimmt masive Lohnkürzungen in Kauf. Die Beschäftigten der Vulkan-Werft in Bremen und der Schichau-Seebeck-Werft in Bremerhaven, die sich seit dem 1. Mai in Konkurs befinden, bekommen laut dem neuen Tarifvertrag künftig 23 Prozent weniger. Die Belegschaft der Betriebe folgte gestern mit offensichtlich gemischten Gefühlen der Empfehlung des Betriebsrats und stimmte nach einer hitzigen Debatte dem Änderungstarifvertrag mit großer Mehrheit zu. Am 11. Juni wird die eigens für den Vulkan gegründete Tarifkommission der IG Metall endgültig über den Tarifvertrag entscheiden.
Formell hat Bremens IG-Metall-Chef Manfred Muster seine Unterschrift noch an einige Bedingungen geknüpft, die aber vermutlich erfüllt werden. Dazu gehören neue Aufträge für die Werften, die Gründung einer Gesellschaft zu deren Akquisition sowie deutliche Verbesserungen im Management.
Muster sieht die Einigung mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Für uns ist die Sache natürlich ganz schwierig. Bei der grassierenden Phantasielosigkeit von Managern könnten jetzt auch noch andere Werftchefs auf die Idee kommen, von ihren Leuten Lohnverzicht zu fordern.“ Andererseits, so Muster, sei der Lohnverzicht die einzige Chance, die Bremer Werften überhaupt zu erhalten. „Ein Restrisiko bleibt aber sowieso weiterhin bestehen, und zwar ein großes.“
Die Zustimmung zur Lohnsenkung wurde quasi erkauft: Der Konkursverwalter Jobst Wellensiek legte den Gewerkschaften und den von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitern im Gegenzug zwei unterschriftsreife Verträge mit einer Reederei über den Bau zweier Containerschiffe für je 70 Millionen Mark vor.
Diese Schiffe können nach der Verzichtserklärung der Arbeiter kostendeckend gebaut werden – von den verbliebenen 3.000 Mitarbeitern. Weitere 1.000 arbeiten bereits für eine Beschäftigungsgesellschaft und beziehen Kurzarbeitergeld. Konkursverwalter Wellensiek lobte gestern die Opferbereitschaft der Belegschaft: Streiks und andere Kampfmaßnahmen seien sinnlos. „Wir sind an einem Flaschenhals angekommen und müssen da jetzt durch.“ Für diese Bereitschaft hat Wellensiek gekämpft: Gemeinsam mit seinem für Bremerhaven zuständigen Kollegen Wolfgang hatte er in den vergangenen Wochen den Gewerkschaftern immer wieder erklärt, wenn die Personalkosten bei der Vulkan-Werft nicht gedrückt würden, gehe ihr in wenigen Tagen die Arbeit aus. Für jede Mark minus hätten die Konkursverwalter dann persönlich geradestehen müssen.
Auch die Gläubiger signalisierten gestern Unterstützung für den von Wellensiek und van Betteray verfolgten Kurs: Die Gläubigerversammlung der Schichau-Seebeck- Werft bestätigte den Kurs der Verwalter. Nach Angaben aus dem Amtsgericht wurde auch van Betteray in seinem Amt bestätigt. Sein Tätigkeitsbericht wurde ohne Widerspruch zur Kenntnis genommen.
Für die Akquirierung weiterer Aufträge ist ab sofort eine neue Projekt- und Vertriebsgesellschaft zuständig, die vom Bremer Senat mit 20 Millionen Mark ausgestattet werden soll. Im Gespräch sind nach Aussage der Werftleitung bisher sechs weitere Containerschiffe, die jeweils 64 Millionen Mark in die Werftkasse bringen sollen. Wirtschaftssenator Hartmut Perschau hat zugesagt, die Finanzierung weiterer Aufträge mit Landesbürgschaften abzusichern, wenn die Schiffe dann zu Marktpreisen zusammengeschweißt werden könnten. In diesem Falle sei auch von der Europäischen Kommission kein Widerspruch zu erwarten. Auf den Werften wurden inzwischen erste Schritte eingeleitet, um die Arbeitsabläufe zu verbessern und das Mißmanagement abzustellen. Joachim Fahrun Seite 7
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