FDP bleibt gefällig

Auf ihrem Bundesparteitag starten Liberale Offensive gegen die „Gefälligkeitsdemokratie“  ■ Aus Karlsruhe Dieter Rulff

Guido Westerwelle spitzt angewidert die Lippen. Von „Stützwählern“ für die FDP habe sein CDU- Kollege Peter Hintze nach den letzten Landtagswahlen gesprochen, gerade so als lebe die FDP von der „Stütze“. Das CDU-Gerede von den Leihstimmen sei von einer nicht zu überbietenden Arroganz, wenn schon, dann seien es die Wähler, die der FDP ihre Stimmen liehen.

Die 662 Delegierten, die seit gestern auf dem Bundesparteitag der FDP ein neues Parteiprogramm beraten, können den Groll ihres Generalsekretärs nachempfinden. Eint sie doch der Wille, die Schmach vergangener Wahlniederlagen vergessen zu machen und wieder eine unabhängige politische Kraft zu werden. Zu diesem Zweck will sich die FDP ein neues Profil geben: Der „Karlsruher Entwurf für eine liberale Bürgergesellschaft“, der an diesem Wochenende beraten wird, wendet sich gegen all jene, die ungerechtfertigterweise auf „Stütze“ leben, gegen die „Vollkaskogesellschaft mit Rundum-Betreuung“, wie sie Westerwelle in seiner Grundsatzrede nennt. Die Neigung der Politik, jedes Problem mit staatlichen Programmen lösen zu wollen, korrespondiere mit der Neigung vieler Bürger, immer mehr Ansprüche an den Staat zu stellen.

„Gefälligkeitsdemokratie“ nennt Westerwelle diesen Zustand und hat damit schon im Vorfeld des Parteitages den Widerspruch des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Hermann Otto Solms provoziert. Der sieht mit dem Begriff weniger die Neigungen der Bürger als vielmehr die Demokratie diskreditiert und schlägt folglich die Verwendung des Begriffs „Gefälligkeitspolitik“ vor.

Folgt man Westerwelle, so läuft vor allem das Staatsverständnis anderer Parteien schräg. Für die soll der Staat eine perfekte Problemlösungsmaschine sein. Die Konsequenz ist für den Generalsekretär „die Überforderung des Staates und die Unterforderung des Gemeinwesens“. Dem solle die FDP mit einem „neuen Gesellschaftsvertrag“ entgegentreten. Es müsse „neu entschieden werden, welche Aufgaben die Bürger dem Staat übertragen wollen“. Für diese Entscheidung steckt Westerwelle die materiellen Grenzen fest. So will er „ein Verbot der Neuverschuldung im Grundgesetz“, „materiell ausgeglichene Staatshaushalte“, ein „Privatisierungsgebot“ und „eine Obergrenze der Gesamtbelastung der Bürger durch Steuern und Abgaben“.

Westerwelle erhält für seine Grundsatzrede lang anhaltenden Applaus und sogleich auch moderaten Widerspruch von Delegierten, die dem linksliberalen Freiburger Kreis angehören. Der ehemalige Bundesjustizminister Gerhard Baum erinnert daran, daß der Staat auch einem aktiven Verfassungsauftrag zu folgen habe. Er sei, so präzisierte der ehemalige Berliner Bundestagsabgeordnete Wolfgang Lüder, ein sozialer Bundesstaat. Das sei im Programm „nicht deutlich geworden“. Noch klarer hatte es vor Eröffnung des Parteitag die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger formuliert. Sie sehe die Gefahr, daß die FDP „zu Lasten der gesellschaftlichen Freiheit die Programmatik auf wirtschaftliche Fragen verengt“. Sie erwarte eine „tiefgehende Kontroverse“ über diesen Punkt.

Eine andere Kontroverse droht dem Parteitag heute, wenn er qua Satzungsänderung über eine Stärkung des Parteipräsidiums entscheidet. Zudem soll die Zahl der Parteitagsdelegierten auf 500 reduziert werden und der Mitgliederentscheid in die Satzung aufgenommen werden.